
Guillaume de Digulleville: „Pélerinage de la vie humaine“, MS fr. 1818 (um 1360)
-
Claus Bernet
- Dezember 30, 2021
Die Handschrift MS fr. 1818 wird auf die Zeit um 1360 geschätzt und in der Französischen Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt. Der Band umfasst eine mittelalterliche Dichtung namens „Pélerinage de la vie humaine“ von Guillaume de Digulleville (auch Déguileville, 1295-1358). Digulleville war Prior der Zisterzienserabtei von Chaalis und Verfasser einflussreicher religiös-allegorischer Dichtungen in mittelfranzösischer Sprache. In seiner Pélerinage beschreibt er, wie ihn nach der Lektüre des Rosenromans eine Vision ergriff, die ihn auf eine spirituelle Reise nach Jerusalem führte. In der Vision wird ihm das Neue Jerusalem in seiner ganzen Schönheit vorgeführt. Obwohl sie von Petrus streng bewacht ist, gelangen findige Mönche auf nicht ganz faire Weise in die Stadt, indem sie Leitern und Stricke benutzen oder sich einfach in Vögel verwandeln. Die Schrift Pélerinage ist auch ein Ausdruck der Sehnsucht nach einem sicheren Ort, in dem man vor Gefahren, Krankheit, Tod und Hunger geschützt ist. Aus dem Text geht hervor, dass sich die Erscheinung des Himmlischen Jerusalem auf ein autobiographisches Erlebnis des Verfassers, also Guillaume de Digulleville, bezieht: Er habe aus einer Vision, die in einem Spiegel erschien (daher wird der Text auch „Spiegelvision“ genannt), lernen sollen, dass der Mensch auf Erden pilgern müsse, um einst das Himmlische Jerusalem zu erreichen. Das lasse sich nur und allein durch ein tugendreiches Leben erreichen. Es geht also um eine metaphorische, geistig-spirituelle Reise nach Jerusalem.
Digullevilles Werk wurde posthum dann vor allem im 15. Jahrhundert recht beliebt und vielfach neu aufgelegt. Unter anderem gibt es kostbare Exemplare mit spätgotischen Illustrationen ganz unterschiedlicher Art und Weise. Die großen Bibliotheken Europas, wie neben der genannten Nationalbibliothek die Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg, die John Rylands University Library in Manchester, die Morgan Library & Museum, die British Library London, die Bodleian Library in Oxford, die Staatsbibliothek zu Berlin, die New York Public Library, die Koninklijke Bibliotheek Den Haag, die Heidelberger Universitätsbibliothek u.v.a. verwahren Miniaturen zu diesem Werk.
Relevant für das Thema Himmlisches Jerusalem sind hier sechs Miniatur-Miniaturen von wenigen Zentimetern, die auf zwei Blätter verteilt sind. Die obere Reihe zeigt fol. 1r, 1v (zwei Abb.), die untere Reihe fol. 2r (zwei Abb.) und 2v. Gleich sechs Mal also ist die Stadt dargestellt, vor rotem und vor blauem Hintergrund. Künstlerisch überzeugt die erste Miniatur von fol. 1v, auf der ein Wächterengel sein Schwert schwingt und die Musterung des Hintergrundes diese Schwingung unterstützt. Die andere Miniaturen bringen genau die Szenen, die wir bereits von vorausgegangenen Editionen her kennen.
1818. Le Pelerinage de vie humaine, in: Catalogue des manuscrits français, 1, Paris 1868, S. 320.
Béatrice Stumpf (Hrsg.): Guillaume de Digulleville, Pèlerinage de Vie humaine, Paris, um 2008.