Die Darstellung der Maria Immaculata aus Stein gemeißelt war eine Spezialität aus Frankreich, man kennt Beispiele aus Livilliers, Gisors, Souvigny oder Cré-sur-Loir, die alle zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstanden waren. Zu dieser Zeit war die Maria Immaculata das zentrale Thema der europäischen Sakralkunst. Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel wurde jetzt in Nogent-sur-Seine entdeckt.
Nogent-sur-Seine ist eine französische Gemeinde mit knapp sechstausend Einwohnern in der Region Grand Est, eine ähnliche Arbeit war dort gerade in Bar-le-Duc entstanden. Künstlerischer Höhepunkt des Dorfes Nogent-sur-Seine ist die mittelalterliche römisch-katholische Kirche Saint-Laurent mit ihren Überformungen aus der Renaissance. Damals wurde um 1500 das Schiff mit fünf Jochen angefügt und um 1530 in der nördlichen Kapelle mit dem figürlichen Schmuck der Maria Immaculata ausgestattet. Die originale Bemalung ist bis auf Spuren verloren, einst waren die Symbole nicht weiß, sondern mit Farben überzogen. Reste dieser Bemalung findet man noch hinter dem Kruzifix. Links oberhalb dieses Kruzifixes findet sich die Himmelspforte, seitlich rechts die Gottesstadt. Beide Profilskulpturen sehen ähnlich aus, was man ähnlich auch in Montaner, in Saint-Révérien oder in Stundenbüchern finden kann. Hier aber können sie aber dank der lateinischen Spruchbänder identifiziert werden: Porta Coeli bzw. Civitas Sion. Letzteres ist eines der wenigen Beispiele, bei denen anstatt „Civitas Dei“ die Formel „Civitas Sion“ verwendet wurde, mit der der Bezug zu Jerusalem noch deutlicher wird. Beide Mariensymbole sind annähernd quadratisch, haben unten ein großes, offen stehendes Haupttor und im oberen Bereich eine Dachlandschaft, von Fenstern unterbrochen. In Verspieltheit, (einstiger) Farbgebung und Detailfreude macht sich hier bereits der Manierismus bemerkbar.
Amédée Aufauvre: Histoire de Nogent-sur-Seine depuis les temps anciens jusqu’à nos jours, Bouquot 1859.
Beitragsbild: GO69, Nogent-sur-Seine (10) Église Saint-Laurent – Intérieur 06, CC BY-SA 4.0