Das steinerne Objekt weist ikonoklastische Beschädigungen auf: So wurden der Kopf der Marienfigur und der von Gottvater abgeschlagen, ebenso die Hände Mariens. Die weniger profilierten Motiv-Darstellungen des Objekts sind davon nicht betroffen, sieht man von Kratzspuren und kleineren Abbrüchen ab. Allerdings muss das Kalkstein-Objekt viele Jahre lang im Freien gestanden haben, es war dem Regen ausgesetzt, so dass die ursprüngliche Bemalung vollständig ausgewaschen wurde. Unter den Motiven nach der Lauretanischen Litanei ist das Himmlische Jerusalem in Form der Himmelspforte und der Civitas Dei präsent. Man entdeckt das letztgenannte Motiv an seinem traditionellen Platz zu Füßen Mariens an der rechten Eckseite. Tore und Mauern mit Schießscharten und Zinnen sind gut zu erkennen, ebenso der Haupteingang an der linken Mauerseite. Darüber erheben sich Treppengiebel und mehrere Baukörper. Die Stadt ergibt in etwa die Form eines Dreiecks und mündet in einen Turm mit einem Knauf oder einer Lilie, was leider beschädigt ist. Auf belebende Elemente, wie Engel, Bewohner, Heilige etc. wurde vollständig verzichtet, wie es auch auf anderen Darstellungen dieses Typus meist der Fall ist.
Mit der Porta Coeli, der Himmelspforte, ist es etwas schwieriger, fehlende Beschriftung und fehlende Bemalung erschweren eine Zuweisung. Links und rechts der Marienfigur stehen zwei Bauten, die beide für die Himmelspforte in Frage kommen. Vermutlich wird es der linke sein: Dies ist traditionell die Position der Pforte, rechts die des Turmes Davids (vgl. „Hore intemerate beate Marie virginis“ vom Anfang des 16. Jahrhunderts). Der linke Bau scheint von einem Engel getragen zu werden, was zusätzlich für die Pforte spricht, die ja einen Torwächter benötigt.
Solche steinernen Darstellungen, Tota Pulchra genannt, waren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Frankreich beliebt und eine regelrechte Modeerscheinung, vergleichbare Beispiele findet man in St. Sépulcre in Montdidier (beide um 1510), in der Kathedrale Notre Dame de l’Assomption von Bar le Duc oder der Kathedrale Notre-Dame von Bayeux (alle um 1510), wenig danach auch in der Pfarrkirche von Livilliers, in Saint-Laurent in Nogent-sur-Seine, in Notre-Dame in Cré-sur-Loir, in Saint Firmin in Somme, die alle noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sind. Es muss noch weitere Beispiele gegeben haben, die die Jahrhunderte nicht überlebt haben.
Im Gegensatz zu den genannten Beispielen findet man dieses Objekt nicht mehr an seinem ursprünglichen Standort. Es wurde während der Französischen Revolution aus einer Kirche entfernt und gelangte im 19. Jahrhundert in ein Museum, das städtische Museum von Semur-en-Auxois im Westen des Départements Côte-d’Or im Zentrum der Region Bourgogne-Franche-Comté. Laut Auskunft des Museums befand sich das Objekt (Inventarnummer 200.S.6) einst in einer Kirche der Gegend von Semur-en-Auxois.
Matthieu Pinette: Le Musée municipal de Semur-en-Auxois, Ingersheim 1992.
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