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Diego Quispe Tito (1611-1681) und Nachfolger: Rundtortürme im Rahmen des Jüngsten Gerichts aus Cusco (ab 1675)

Diego Quispe Tito (1611-1681) hat sich in seinem vielfachen Schaffen immer wieder mit dem Himmlischen Jerusalem auseinandergesetzt. Zahlreiche Gemälde der Maria Immaculata belegen dies. Darüber hinaus gibt es von Tito auch Weltgerichtsmalereien, bei denen eine einzelne komplexe Architektur für das Neue Jerusalem steht. Er lehnte sich dabei an eine ältere Arbeit von Philippe Thomassin an, die das „Jüngstes Gericht“ zum Thema hatte (1606). Es ist eine Mischung aus einem Tor bzw. einer Pforte, und einem gerundeten Turm, weshalb diese Objekte auch als Rundtorturm bezeichnet werden. Fast immer haben sie eine Kuppel. Zu diesem Rundtorturm strömt stets eine breite Masse, während sich nach oben einzelne Gerettete weiter himmelwärts in die obere Bildzone bewegen, obwohl die Pilgerreise eigentlich zu Ende ist. Lateinamerika und vor allem die Malerschule in Cusco (Peru) waren das Zentrum dieser Rundtortürme, von denen sich Ölmalereien und Wandmalereien erhalten haben.

Eine erste Weltgerichtsdarstellung malte Diego Quispe Tito im Jahre 1675. Titos immerhin 488 x 150 Zentimeter großes Ölgemälde, in Spanisch überschrieben mit „Das harte Gericht der Völker, Amen“, befindet sich noch heute an seinem angestammten Ort, dem Franziskanerkloster zu Cusco. Das Neue Jerusalem ist als eine Art barocker Wachturm auf der linken Gemäldeseite dargestellt. Auf der Galerie wachen oben Petrus und Paulus, unten strömen Massen in das offene Tor. Eine anonyme Variante dieses Gemäldes aus dem 18. Jahrhundert befindet sich im Museum San Luis de Francia, Oceanside (Kalifornien).

 

Von dem gleichen Maler oder zumindest aus seiner Schule in Lima stammt eine Fassung der Zeit um 1680. Sie hat eine Gesamtgröße von 198 x 132 Zentimeter. Es zeigt auf der linken Seite das Tor zum Neuen Jerusalem als ornamentierten Barocktempel. Ornamentiert ist vor allem der Bogen um die Toraußenseite, was sich bis zum Meister der Blumenornamentik in das Spätmittelalter zurückverfolgen lässt. Ungewöhnlich ist hier ein zweites Tor links daneben. Es handelt sich dabei um das Tor oder Gitter zum Fegefeuer, aus dem gerade arme Seelen befreit werden. Ironischerweise sind es ein König und der Papst, die man ansonsten fast immer auf der gegenüber liegenden Seite unter den Geretteten findet. Das Ölgemälde aus Lima ist in der Wissenschaft bekannt; 2007 (2024 erneut) wurde es über den Auktionator Christies’ in New York zum Kauf angeboten.

Luis Nieri Galindo: Pintura en el virreinato del Perú, Lima 1989.
Christie’s (Hrsg.): New York. Latin American sale. Thursday 31 May and Friday 1 June 2007, o.O. (2007). 

 

Dieses Ölgemälde wird von Kennern der hispanischen Malerei auf das 17. Jahrhundert datiert. Der Künstler oder die Künstlerin sind namentlich leider nicht bekannt. Als Titel des Gemäldes wird gemeinhin „Das Jüngste Gericht“ angegeben. Der große behelmte Engel in Rüstung (Erzengel Michael, ähnlich wie auf einem Gemälde von Antonio de Santander), der etwas an den antiken Götterboten Hermes erinnert, macht in etwa das Zentrum des Bildes aus, auf dem im gesamten unteren Bereich die Verdammnis dargestellt ist. Nur die massive Pforte auf der linken Seite bietet Rettung in das Neue Jerusalem. Hinter der Pforte werden rechts Menschen auf einem schmalen Wolkendurchbruch steil nach oben in den ewigen Himmel geleitet. Das Bild wurde in Cusco angefertigt, hängt heute aber in der Kirche der Gemeinde von Siachoque im kolumbianischen Bezirk Boyacá.

 

Ein weiteres Weltgericht aus der berühmten peruanischen Cusco-Malerschule wird auf das 18. Jahrhundert datiert. Es wurde zunächst für eine römisch-katholische Kirche oder ein Kloster angefertigt. 2011 schenkten der brasilianische Staatsanwalt Telmo Giolito Porto und seine Frau, Lais Helena Zogbi Porto, das großformatige Ölgemälde dem brasilianischen Kunstmuseum von Sao Paulo. Dort ist es Teil der Galeria Horácio Lafer. Auf der linken Seite zeigt das Bild eine barocke Himmelspforte in graublauer Färbung, die sich auf einem Felsen in den Himmel erhebt. Wie oft in Lateinamerika ist auch hier die Pforte als Rundtorturm gestaltet. Durch das offene Tor strömen Gerettete, die oben rechts weiter in den Himmel marschieren.

 

Dieser Ausschnitt einer großformatigen Weltgerichtsdarstellung entstand Mitte der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Ölmalerei befindet sich in der römisch-katholischen Gemeindekirche Santiago Apóstol in Huancané, Puno (Peru). Wie auf neuspanischen Darstellungen in Tradition der Cusco-Malerschule üblich wird Jerusalem als Rundtorturm präsentiert, durch den alle Geretteten hindurch müssen, um dann an der Turmkuppel rechts die Reise in die himmlischen Regionen fortzusetzen.

Agustina Rodríguez Romero, Gabriela Siracusano: Imagen de tapa. El pintor, el cura, el grabador, el cardenal, el rey, y la muerte. Los rumbos de una imagen del Juicio Final en el siglo XVII, in: Eadem Utraque Europa, 6, 10-11, 2010, S. 9-29. 

 

Eine weitere Gerichtsdarstellung mit einer nun klassizistisch geprägten Himmelspforte als Rundtorturm aus der Cuscoer Malerschule wurde um das Jahr 1800 angefertigt. Der Meister des 249 x 193 Zentimeter großen Ölgemäldes mit einer manieristischen Darstellung des Jüngsten Gerichts ist nicht bekannt. Seit 1999 ist das Ölgemälde Teil der Privatsammlung Marilynn und Carl Thoma in Washington.

Suzanne L. Stratton, Thomas B. Cummins, Marilynn Thoma: The virgin, saints, and angels, Stanford 2006.

 

Das Ölgemälde „Juicio, Muerte, Infierno y Gloria“ entstand um 1800 in Mexiko im Umkreis spanischer Geistlicher und befindet sich heute in einer Privatsammlung. Das Tor ist auf dem Weltgericht links (hier Ausschnitt) als einfacher, hellblaufarbener Rundtorturm mit einem roten Ziegeldach dargestellt, ganz ähnlich, wie die Aufbauten von Windmühlen um 1800 aussahen. Diamanten, Gold oder Perlen fehlen hier, die göttliche Präsenz ist ganz auf die Engel reduziert. Von denen agieren zahlreiche im Vordergrund, wo sie die Menschen bei ihrem Weg durch das rettende Tor tatkräftig unterstützen.

 

Die römisch-katholische Jesuitenkirche San Juan Bautista von Huaro ist eine der wichtigsten Kirchen der peruanischen Andenregion. Sie zählt zu den Meisterwerken der späten Cusco-Malerschule. Die Ziegelsteinwände des Baus wurden mit erzählfreudigen, farbenfrohen Wandmalereien in Temperafarbe ausgeschmückt. Dazu gehört auch ein Fresko mit dem Jüngsten Gericht, welches eine gesamte Wandpartie einnimmt. Darauf ist links ein Himmelstor zu finden, in das eine Schar von Märtyrern einzieht. Im oberen Bereich des Zugangs fliegen sogar zwei Seelen weiter nach oben.
Thaddeo Ascalante de Acomayo (auch Tadeo Escalante) hat diese Malerei 1802 geschaffen und damit die Kirche vollendet. Ascalante/Escalante war ein peruanischer Maler, der indianische wie europäische Wurzeln hatte und von etwa 1770 bis 1840 lebte. Lange Zeit war die abseits gelegene Kirche der Verwahrlosung und dem Verfall preisgegeben. Erst zwischen 2003 und 2007 wurden die Fresken unter Leitung von Pérez de Cuéllar sorgsam restauriert und ihre ursprüngliche Farbigkeit wiederhergestellt. Das war ein besonderer Glücksfall. Wir dürfen davon ausgehen, dass es noch wesentlich mehr Darstellungen von Rundtortürmen auf Wandfresken gegeben hat, die sich jedoch nicht erhalten haben.

Proyecto de restauracion de obras de arte del templo de San Juan Bautista, Huaro, Cusco, Peru 2004-2006, Lima (2005).
Agustina Rodríguez Romero, Gabriela Siracusano: Imagen de tapa. El pintor, el cura, el grabador, el cardenal, el rey, y la muerte. Los rumbos de una imagen del Juicio Final en el siglo XVII, in: Eadem Utraque Europa, 6, 10-11, 2010, S. 9-29.

 

tags: Torturm, Neuspanien, Cusco, Weltgericht, Diego Quispe Tito, Franziskaner, Museum San Luis de Francia, USA, Lima, Auktion, Renaissance, Kolumbien, Kunstmuseum Sao Paulo, Brasilien, Barock, Kolonialstil, Kolonialarchitektur, Lateinamerika, Peru, Privatsammlung
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