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MS 1130: Guillaume de Digullevilles Pélerinage (um 1390)

Die Pariser Bibliothek Sainte-Geneviève besitzt die Ausgabe „Les trois pèlerinages“, eine Variante des Romans Pélerinage von Guillaume de Digulleville. Der Band hat die Signatur MS 1130 und wurde gegen Ende des 14. Jahrhunderts geschaffen. Von den zahlreichen Miniaturen zeigen insgesamt fünf die Gottesstadt, nämlich diejenigen auf fol. 2r, 2v, 3r (zwei Miniaturen) sowie 3v. Bekannter ist vor allem die Eingangsminiatur auf der oberen Hälfte von fol. 2r. Sie zeigt das Himmlische Jerusalem gleich zwei Mal, einmal als Traumvision im Spiegel links, und dann, leider schwer beschädigt, im Hintergrund einer Predigtszene rechts. In dem Spiegelbild ist die Stadt, was ja wegen des Lebensflusses nahe liegt, als Wasserschloss oder -burg gezeigt, vor dem bzw. der Schwäne schwimmen (übernommen von MS fr. 182). Ein Wort zu den starken Beschädigungen: Auffällig viele Ausgaben der weisen Kratzspuren oder Verwischungen auf, aber nicht wahllos, sondern immer ist es das Himmlische Jerusalem am Beginn der Ausgaben, welches davon betroffen ist. Solcher Vandalismus findet sich ebenso in MS 845, MS 1038, Beinecke 406, MS Français 1645, MS Latini 74. Eine schlüssige Erklärung kann ich dafür noch nicht finden, sondern erst einmal darauf hinweisen.

 

Die folgende vier Miniaturen zeigen die Himmelsstadt, wie sie sich dem Pilger auf seinem Lebensweg in unterschiedlicher Gestalt präsentiert, als Burg, Stadttor oder kleine Kirche, stets mit anspruchsvoller Hintergrundornamentierung in Form vergoldeter Ornamente auf rotem Grund (wie Français 377 und Français 829. Zunächst begegnet der Pilger mit seiner schicken Pilgertasche einem Wächterengel vor der Stadt. Diese ist hermetisch abgeschlossen und zeigt keine Eingangspforte. Ungewöhnlich ist der grüne Farbstich der unteren Hälfte der Mauer und des Engelflügels.

 

Die beiden Miniaturen von fol. 3r zeigen zwei Szenen, auf denen Mönche versuchen, sich Zugang in das Himmlische Jerusalem zu verschaffen. Einmal setzen sie eine Leiter an, ein andermal hangeln sie sich an einer Kordel nach oben. Die Stadt ist in der Grundform gleich, im Detail unterschiedlich: Einmal hat sie eine Zugangspforte, dann zwei kleine Ecktürme. Auch der Hintergrund ändert seine Struktur, einmal ist es ein Schachbrettmuster, dann ein vegetabiles Ornament. Wieder ist die Hauptperson mit verschiedenen Taschen ausgestattet, der Pilger scheint eine ganze Sammlung davon besessen zu haben.

 

Die letzte Miniatur mit einer Jerusalems-Darstellung, also fol. 3v, zeigt den Erfolg der Bemühungen: Links tauschen die Mönche ihre alten Gewänder gegen die neuen weißen Kleider, die einheitlich alle Bewohner der Stadt tragen (müssen). Rechts beobachtet sie Petrus, der als Papst mit einer Tiara ausgestattet ist. Genau in die schwarze Zugangspforte hält er den Schlüssel. Die Stadt präsentiert sich hier als kleine Kirche mit einem hohen Turm, der weit über die Miniatur hinausragt (siehe Français 829, fol. 124r).

Michael Camille: Master of death. The lifeless art of Pierre Remiet, illuminator, New Haven 1996.
Paule Amblard: Le Pélérinage de vie humaine, Paris 1998.
Ursula Peters: Das Ich im Bild. Die Figur des Autors in volkssprachigen Bilderhandschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts, Köln 2008.

 

tags: Spiegel, Guillaume de Digulleville, Schwan, Wasserschloss, Wächterengel, Kordel, Leiter, Papst, Tiara
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