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MS R.16.2: Trinity-Apokalypse (um 1255-1260)

Die Trinity-Apokalypse gilt als Meisterwerk der hochmittelalterlichen Illustrationskunst und verdient besondere Beachtung. Auch sie fällt in den Zeitraum der wenigen Jahre von 1255 bis 1260, der in England eine schier unglaubliche Vielfalt von Illustrationen der Apokalypse hervorbringen ließ. Diese Handschrift bietet dem Leser eine gekürzte Apokalypse mit Extrakten eines Kommentars von Berengaudus, die vielleicht in London geschrieben und von vier Künstlern dort illustriert wurde. Eine Besonderheit ist, dass hier nicht der Text der Offenbarung im Zentrum steht, sondern mit der Vita des Johannes begonnen und geendet wird. Zudem entschied man sich nicht für eine lateinische Fassung, sondern wählte das seltenere anglonormannische Französisch, das nur in höfischen Kreisen im England des 13. Jahrhunderts üblich war.
Hergestellt wurde die Trinity-Apokalypse wahrscheinlich für Eleanor of Provence, die Frau von Henry III. (1207-1272). Ihr Initial, der Buchstabe E, ist deutlich im Geäst des „Holz des Lebens” im Zentrum der Gottesstadt zu erkennen (fol. 25v). Auf die Entwicklung der Apokalypsedarstellungen des 13. Jahrhunderts hatte sie in England einen wichtigen Einfluss. Seit 1660 wird die Apokalypsehandschrift im Trinity College in Cambridge aufbewahrt, nach dem sie auch benannt wurde.
In dem Codex wurde das Himmlische Jerusalem drei Mal dargestellt.

Am bekanntesten ist diejenige Abbildung, bei der die Gottesstadt in eine der Textseiten eingeschoben und als Draufsicht gestaltet ist (fol. 25v). Es ist zudem eine der wenigen Darstellungen aus England, auf der der Goldton vorherrscht, obwohl dem Text nach Gold ja eines der Baumaterialien der Stadt ist. Sucht man nach solchen goldenen Editionen, könnte man nur noch die 1174er Ausgabe von Hildegard von Bingen nennen, verschiedene Ausgaben der Bible moralisée (um 1250) und vielleicht noch MS Harley 4972 (um 1320). Üblicherweise war der Hintergrund zum Thema Jerusalem rot, blau oder beides, was auch hier noch kommen wird.
Links unten zeigt ein Engel dem verschüchternd wirkenden Johannes die neue Stadt. Diese Figuren stammen von einem anderen Zeichner als dem des übrigen Bildes (Physiognomien ähnlich wie auf MS Douce 180). Alle zwölf Tore mit weit geöffneten Flügeln, aber ohne Wächterengel, sind zu sehen. Die Tore ähneln sich, sind aber in der Farbwahl und Architektur Unikate. Auf ihnen und auf der Stadtmauer sind die Namen der Apostel und die der Stämme Israels geschrieben, was man ansonsten bislang von der Beatustradition her kannte (Morgan Beatus, Silos-Beatus) und was jetzt auch in England auftritt. Die eigentliche Mitte ist nicht hervorgehoben, sondern das Stadtinnere besteht aus drei ausgewogenen, gleichberechtigten Elementen. Da ist zum einen der bereits erwähnte Lebensbaum. Links davon ist, selten und ungewöhnlich, eine zweifache Christusdarstellung zu sehen, einmal auf dem Thron als Majestas Domini (Herrlichkeit Gottes), ein zweites Mal daneben als Agnus Dei, als Lamm Gottes. Darunter findet man eine weitere Verdoppelung: Noch einmal sieht man den Engel, diesmal in einem roten Gewand, wie er die Maße der Stadt mit einem Rohrstab erkundet. Der Künstler der Jerusalemdarstellung hatte Kenntnisse des neuen französischen Stils, dem „broad-fold style” der Gewänder, welcher in den 1240er Jahren in Paris entwickelt worden war.

Daneben gibt es in der Handschrift zwei weitere Darstellungen der Gottesstadt (fol. 11r und 25v), die von einem anderen Künstler stammen. Einmal wird Johannes von einem Engel die Architektur der Stadt mit drei Schaugiebeln, neben denen vier Türme stehen, gezeigt. Dem Betrachter wird Einblick in das Stadtinnere gewährt, wo ein Mann und eine Frau vor einem Altar beten.

In einer weiteren Illustration wird Johannes ein offenes Tor der Stadt gezeigt, daneben Christus in einer Mandorla. Die Darstellung bezieht sich auf die „Rede Gottes“ (Johannesoffenbarung Kap. 21, Vers 5-6): „Siehe, ich mache alles neu! […] Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will den Durstigen geben von dem Brunnen des lebendigen Wassers umsonst“. Wer auf dem Bild die links stehende Person sein soll, ist nicht endgültig geklärt. Es ist nicht Johannes auf Patmos, den dieser sitzt unten rechts und schreibt an seiner Offenbarungsschrift.

Peter H. Brieger: The Trinity College Apocalypse. An introduction and description, London 1967.
Maria Luisa Gatti Perer (Hrsg.): La Gerusalemme celeste, Milano 1983, S. 155-156.
S. Lewis: Reading images, Cambridge 1995.
David McKitterick (Hrsg.): The Trinity Apocalpyse (Trinity College Cambridge, MS R.16.2), London 2005.
Richard K. Emmerson: Framing the Apocalypse. The performance of John’s life in the Trinity Apocalypse, in: Elina Gertsman (Hrsg.): Visualizing medieval performance. Perspectives, histories, contexts, Aldershot 2008, S. 33-56.

 

tags: Dublin, Irland, Gotik, Mittelalter, anglonormannisch, Lebensbaum, Gold, Lamm
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