Vor uns befindet sich eines der frühesten Gemälde mit einer Darstellung des Himmlischen Jerusalem. Es ist eine Gemeinschaftsarbeit von Nicolò und Giovanni, die vermutlich Benediktinermönche in Rom oder Latium waren. Gezeigt wird eine Gerichtsdarstellung (Giudizio Finale), ein bereits im frühen Mittelalter überaus beliebtes Thema. Die gesamte Tafelmalerei in Tempera auf Holz kommt auf 288 x 243 Zentimeter. Ursprünglich befand sich das Gemälde im Oratorium des Heiligen Gregor von Nazians in Rom, welches dem Benediktinerinnenkloster Santa Maria auf dem Campo Marzio angegliedert wurde. Nach 1660 wurde es in die Kirche San Luigi dei Francesi gebracht, wo es bis zu seiner Aufnahme in die päpstliche Pinakothek im Jahre 1934 verblieb (Vatikanische Sammlungen, Inventarnummer 40526). Dort ist es das hervorragendste Stück des frühen Byzantinismus.
Der Ausschnitt mit den schematischen Physiognomien zeigt deutlich den byzantinischen, oströmischen Einfluss und ähnelt bereits der Ikonenmalerei der Ostkirche. Im Zentrum der Stadt befindet sich nicht etwa Christus oder das Lamm Gottes, sondern Maria mit zwei Märtyrerinnen, die aus Ehrfurcht sogar ihre Kronen abgesetzt haben. Maria trägt hier einmal ein blau-violettes Gewand, das zudem die Farbe des Hintergrunds wiederholt. Die Architektur der Stadt zeigt sich vor allem bei dem unteren Edelsteinfries, den wir auch von spätantiken Mosaiken in S. Lorenzo in Rom, Sant’Apollinare in Classe und natürlich in Santa Maria Maggiore in Rom kennen. Aus der Mauer schiebt sich rechts ein schmaler Turm aus Edelsteinen, der vor allem kompositorisch das angrenzende Bildfeld separiert.
Carlo Pietrangeli: Die Gemälde des Vatikans, München 1996.
Insea Hohlt-Sahm, Gerhard Oehlschläger: Der Wandteppich ‚Das jüngste Gericht’, Kloster Mariensee, Lindenberg 1998.
Claus Bernet, Italo Faldi: Das Himmlische Jerusalem in Rom, Norderstedt 2012 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 2).