S. Maria Maggiore in Rom (um 450)

Auf Mosaiken bildete sich bald ein Darstellungstyp heraus, der in den neu erbauten Kirchen Jerusalem wie auch Bethlehem als kleine Städte zeigt. Jerusalem findet sich meist an der linken Zwickelzone des Triumphbogens der Apsis. Auf dem gegenüberliegenden Zwickel ist gewöhnlich Bethlehem als Stadt dargestellt, in nahezu identischer Ausgestaltung und Proportion. Die beiden Orte, an denen das Leben Christi angefangen und geendet hat, sind also die Anfangs- und Endpunkte beim Betrachten des gesamten Apsismosaiks, vom Langhaus her gesehen. Zurück geht diese Gegenüberstellung mit Sicherheit auf die alte Peterskirche, von Konstantin erbaut. Wie diese Darstellung des Himmlischen Jerusalem ausgesehen haben mag, wissen wir heute nicht mehr genau, da sich nur eine gemalte Kopie aus dem Mittelalter erhalten hat. Ein besonders schönes Beispiel aus dem 5. Jahrhundert befindet sich noch heute in der Kirche S. Maria Maggiore. Die hellen Farben, Gelb- und Blautöne, geben der Stadt etwas Atmosphärisches, Freundliches, Friedvolles. Mit den sechs Lämmern, die die Gläubigen symbolisieren, finden wir ein Motiv vor, das auch von späteren Darstellungen aufgenommen werden sollte. Zählt man die Lämmer auf der gegenüberliegenden Seite hinzu, kommt man auf die Zwölfzahl, welche für die Apokalypse maßgebliche Bedeutung hat.
In S. Maria Maggiore ist die Stadt als Hexagon angelegt. Das rundbogige Stadttor an der Vorderseite ist geöffnet, über ihm hängen links und rechts zwei blaugrüne Juwelen, in der Mitte ein goldenes Kreuz. Juwelen und Perlen erscheinen auch am Außenwerk der goldenen Stadtmauer, die in vier Zonen waagrecht angeordnet ist. Durch die ungewöhnliche Höhe der Mauern kommt die Stadt annähernd auf eine kubische Gestalt. Über ihr ist in goldenen Lettern „HIERVSALEM“ auf dunkelblauem Grund geschrieben. Jerusalem erscheint hier auf einer leichten Anhöhe in Untersicht, die durch das Hinaufsehen des Betrachters vom wesentlich tiefer liegenden Mittelschiff noch verstärkt wird.

Carlo Cecchelli: I mosaici della basilica di S. Maria Maggiore, Torino 1956.
Heinrich Karpp: Kanonische und apokryphe Überlieferung im Triumphbogen-Zyklus von S. Maria Maggiore, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte, 77, 1966, S. 62-80.
Giulio Andreotti (Hrsg.): Santa Maria Maggiore a Roma, Firenze 1988.

 

Die Jerusalemdarstellung in Santa Maria Maggiore war Vorbild für ein Glasfenster, welches erst um 1985 in die katholische Kirche St. Michael in Werdohl im Sauerland mit seiner reichhaltigen Jerusalemskultur eingesetzt wurde. Wer der Künstler dieses Fensters war, ließ sich trotz umfangreichster Bemühungen, zahlloser Schreiben und Telefonate leider nicht in Erfahrung bringen.

 

2010 inspirierte das Mosaik aus Rom den Franzosen Francis Marie (geb. 1964) zu einer Neuinterpretation in Farbholzschnitttechnik. Der Künstler berichtete, dass er erst auf einer Romreise das Jerusalem von S. Maria Maggiore entdeckte und davon so überwältigt war, dass er sich spontan zu einer eigenen Interpretation entschloss.

 

tags: Spätantike, Rom, Triumphbogen, Lämmerfries, Werdohl, Sauerland, Glasfenster, Frankreich, Holzschnitt
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