Paramentenwerkstatt Stuttgart: Altarparament der evangelischen Kirche von Zell (um 1975)

Vor einem violetten Hintergrund reihen sich zwölf Tore aneinander und verdecken sich teilweise – eine gängige Darstellungsweise für Paramente aus dem süddeutschen Bereich, etwa auf einem Parament von Helmut Münch (um 1990) oder auf einem solchen von Heinz Giebeler (um 1992). Im Gegensatz zu diesen und anderen Werken bleibt hier die Mitte vollständig frei, nicht einmal die Form eines Kreuzes wird erzeugt. So sind der alleinige bildliche Schmuck die zwölf blockartigen Tortürme mit ihren rundbogigen Toren in goldfarbener Färbung. Die Tortürme erscheinen gleich, variieren sich aber im Detail: So haben sechs der Türme oben einen Zinnenfries, vier schließen mit einem roten Zeltdach ab und zwei haben einen glatten Abschluss. Auch die Färbung der Mauer chargiert; einige sind mehr weißlich, andere blaugrau.

Im Stil handelt es sich eindeutig um ein Werk der späten 1960er bzw. frühen 1970er Jahre. Da die Arbeit nicht signiert ist und Unterlagen zum Kauf fehlen, hilft allein die eingenähte Plakette auf der Rückseite. Dort ist zu erfahren, dass das Textilwerk in der Paramentenwerkstatt der evangelischen Frauenarbeitsschule in Stuttgart angefertigt wurde.

Diese Schule war damals auf dem Gebiet der Paramentik in Württemberg führend, eine ähnliche Arbeit mit dem Himmlischen Jerusalem hat sich beispielsweise in Fornsbach erhalten. Das Parament dort hat die liturgische Farbe Weiß, während dieses Exemplar mit seinem violetten Ton der liturgischen Farbe Rot zugeordnet wird, dementsprechend kommt es an Pfingsten, Konfirmationen, Ordinationen und am Reformationsfest zum Einsatz.

Als Anfang der 1970er Jahre in Zell bei Esslingen die mittelalterliche Kirche umgebaut und erweitert wurde, war damals das Himmlische Jerusalem ein gerne gewählte Thema. So entschied man sich für ein Fenster im Altarbereich von Wolf-Dieter Kohler mit diesem Motiv. Zusammen mit dem Parament erfährt das Thema hier eine besondere Betonung. Es ist unwahrscheinlich, dass die kleine Gemeinde dazu extra einen Künstler beauftragte, sondern vielmehr war es vermutlich so, dass im nahegelegenen Stuttgart gerade dieses Parament im Angebot war. Wer konkret es entworfen hat, ließ sich nicht mehr in Erfahrung bringen, die Frauenarbeitsschule wurde inzwischen geschlossen, viele der damals Mitarbeitenden sind inzwischen verstorben.

Klaus Hirth: 700 Jahre Zeller Dorfkirche, 1275-1975. Einweihung der umgebauten Kirche, 13. April 1975, Esslingen-Zell 1975.
Gabriele Bartsch: ‚Vom Schmuck der heiligen Orte‘. Die Paramentenwerkstatt Stuttgart, in: Cornelia Kaiser (Hrsg.): Heimlich, still und fleissig? Frauenarbeit in der Region Stuttgart seit dem 18. Jahrhundert. Ein geschichtliches Lesebuch, Tübingen 1995, S. 136-146.

 

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