MS Harley 4399: Guillaume de Digullevilles „Pélerinage de la vie humaine“ (um 1400)

Diese vier Miniaturen des Himmlischen Jerusalem entstammen zwei Abbildungen von fol. 1 und zwei weiteren Abbildungen von fol. 2 der französischen Handschrift MS Harley 4399 aus der British Library in London. Es handelt sich um eine Ausgabe der Pélerinage, die um 1400 entstanden sein muss. An den schnell hingeschmierten Zeichnungen, den teilweise verblichenen Farben, der lieblosen Detailgestaltung und am schematischen Hintergrund dieser Ausgabe kann man erkennen, dass es sich um eine billigere Variante gehandelt haben muss. Dabei handelt es sich bei den hiesigen Miniaturen um die ersten Seiten dieser Ausgabe, wo man sich noch mehr Mühe gab als bei den hunderten noch folgenden Miniaturen, wo es immer schlimmer wird. Diese Miniaturen waren aber stets als Textbeigabe zu verstehen und nicht als für sich stehende Werke gedacht, wie sie hier präsentiert werden.

Besonders ins Auge fällt die Gottesstadt durch einen farblich grün-lila geschmückten Rahmen des Spiegels an der Wand der Eröffnungsminiatur auf fol. 1. Die Stadt besteht hier aus zahlreichen spitzen Dächern und Türmen, ganz so, wie es auch MS Add 38120 oder MS 768 zeigen.

Der expressive Ausdruck der Stadt setzt sich auch in den folgenden drei Miniaturen fort, auf denen zunächst ein seltsam gestalteter grüner Engel die Stadt bewacht. Die Stadt ist vollständig mit Bauten bedeckt, die ineinander verschoben sind und ein Gewirr von kleinen Gassen andeuten. In den Mauern stecken nicht etwa Speere oder Hellebarden, sondern es sind zwei Fahnenstangen. Eine weitere Stange hält der Engel in der Hand, diesmal wohl zur Verteidigung (vgl. MS Add 38120, fol. 1v).

Fol. 2 bietet auf den Miniaturen zwei der Versuche, wie findige Mönche in das Himmlische Jerusalem zu gelangen trachten. Zunächst wird der Versuch gezeigt, sich mit Kordeln an den Mauern nach oben zu ziehen. Diese Mauern sind hier sogar niedriger als die Personen vor ihr, so dass es eher angebracht wäre, einfach in die Stadt zu springen.

Auf der zweiten Miniatur von fol. 2 beginnen die Mönche die Kleider ausziehen, um so leichter in die Stadt zu gelangen, wobei sie von Petrus in Empfang genommen werden. Die Pforte ist bedenklich klein, so dass es durchaus angebracht scheint, sich störender Kleidung zu entledigen. Der eigentliche Gedanke ist jedoch, dass die Bewohner des Neuen Jerusalem ihre alte, weltliche Kleidung ablegen müssen und ein neues, weißes (sündenloses) Gewand bekommen. Bei der Stadtdarstellung soll noch auf die zahlreichen Giebel hingewiesen werden, die der Dachlandschaft etwas Expressives verleihen, ähnlich wie bereits auf der ersten Miniatur.

4399 in: A catalogue of the Harleian manuscripts in the British Museum, 3, London 1808, S. 141.
Cyril Ernest Wright: Fontes Harleiani. A study of the sources of the Harleian collection of manuscripts in the British Museum, in: British Museum, 1972, S. 253-55.
Claus Bernet: Die Spiegelvision des Guillaume de Digulleville, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 35).

 

tags: Spiegelvision, Guillaume de Digulleville, Pélerinage de la vie humaine, Speer, Fahne, Kordel, Expressionismus, Mittelalter, British Library London
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