Guillaume de Digulleville: „Pélerinage de la vie humaine“, MS 9 (um 1400)

Die Miniaturenserie aus MS 9 der Bibliothek des Institut de France in Paris soll um 1400 entstanden sein. Die Handschrift dieser Pélerinage ist nicht vollständig koloriert, nach hinten werden die Seiten immer weißer, offensichtlich ist sie unvollendet. Der talentierte Miniaturist ist nicht weiter bekannt; gelegentlich wird er im Umkreis des zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Paris tätigen „Maitre de l’Epitre d’Othéa“ vermutet. Die ersten beiden Abbildungen, noch überaus farbintensive Abbildungen, finden sich auf fol. 79. Es sind die beiden einzigen, auf denen man eine Vorstellung davon bekommt, wie das Neue Jerusalem in Farbe gefasst sein sollte. Zunächst erscheint die Stadt dem Pilger im Spiegel, während er in einem für damalige Verhältnisse prächtigen Bett liegt. Auf der folgenden Miniatur auf der gleichen Seite sehen wir den Pilger bereits auf dem Weg in die rotblaue Himmelsstadt.

Die Stadt erscheint zwei Mal auf der folgenden Seite, fol. 79v. Es sind die typischen Illustrationen, die auch auf vielen anderen Ausgaben der Pilgergeschichte wie ein Kanon gezeigt werden: zunächst macht der Pilger sich auf den Weg und findet die Stadt, wo ihm ein Engel den Eintritt verwehrt. Es ist die einzige mir bekannte Darstellung, auf der ein Engel wie ein Samurai gleich mit zwei Schwertern hantiert – nach Auskunft eines Mediävisten, der sich auf Kampfkunst spezialisiert hat, hat es eine solche Technik in Europa nicht gegeben. Auf der folgenden Miniatur ist der Engel verschwunden, doch nun treten die Mönche in der Stadt auf den Plan, die im weiteren Verlauf der Handlung noch eine bedeutende Rolle spielen sollten.

Es folgt eine weitere farblose Abbildung auf fol. 80. Gezeigt wird, wie die findigen Mönche wie mittelalterliche Belagerer versuchen, mittels Leitern in die Stadt zu gelangen.

MS 9 schließt den Reigen der Jerusalems-Darstellungen mit zwei letzten Abbildungen auf fol. 80v. Zunächst wird links ein weiterer Versuch der inzwischen verzweifelten Mönche gezeigt, in das Neue Jerusalem zu gelangen. Diesmal soll ein Seil den Weg in die Stadt ermöglichen. Alle diese Zutrittsversuche kommen für den rechtschaffenen Pilger nicht in Frage. Die Miniatur rechts zeigt ihn nochmals vor der Stadt, die nun wieder bewacht wird. Diesmal ist es Petrus, an seinem Schlüssel gut zu erkennen. Auf die Stadtdarstellungen wurde nicht viel Mühe verwendet. Außer zwei Haupttürmen, zwischen die eine hohe Mauer gesetzt ist, fällt dem Miniaturisten nicht viel ein. Vereinzelt finden sich Ansätze von Schmuckelementen, die verloren und unfertig wirken.

 

tags: Gotik, Mittelalter, Guillaume de Digulleville, Institut de France Paris, Spiegel, Schwert, Leiter, Seil, Kordel
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