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MS Cod. Gall. 30: Pélerinage des Guillaume de Digulleville (1348)

Auf das Jahr 1348 wird eine Ausgabe der „Pélerinage de la vie humaine“ des Guillaume de Digulleville (1295-1358) aus der Bayerischen Staatsbibliothek München (MS Cod. gall. 30) geschätzt. Sie ist damit die älteste illustrierte Pélerinage-Edition außerhalb Frankreichs und vermutlich noch zu Lebzeiten des Verfassers erschienen. Nur noch MS 772 kommt auf ein solches Alter. Für die Wissenschaft ist sie hinsichtlich der Entwicklungen der Bebilderung also von besonderem Interesse. Diese frühe Ausgabe der Pélerinage ist noch zurückhaltend koloriert, was sich jedoch bald ändern sollte. Das Himmlische Jerusalem ist in dem Band auf einer Miniatur auf fol. 1r und zwei Miniaturen auf fol. 2v zu finden. Auf den Pergamentseiten machen die Abbildungen nur wenige Zentimeter aus, das übrige der Seiten ist altfranzösischer Text.
Die erste Abbildung zeigt den Pilger auf einer Liege, als ihm das Himmlische Jerusalem im Traum erscheint. Es erscheint ihm gegenüber in einem runden Spiegel. Die gesamte Szene ist von üppigen gotischen Ornamenten gerahmt, die manchmal selbst den Eindruck einer Illusionarchitektur erwecken. Hier passt sie gut zum Dargestellten, man findet solche Rahmungen aber auch auf den anderen Miniaturen dieses Bandes.

 

Fol. 2v präsentiert zunächst die von Bauten schier überbordende Gottesstadt, die Architekturen sind ineinander verschoben, wie es die Zeit liebte, siehe auch die Jerusalemsabbildungen der gleichaltrigen Bible Moralisée. Vor der Stadt hält rechts ein Engel mit Schwert Wache. Diese Szene illustriert die Stelle im Pilgerroman, wo die Mönche beginnen, in die heilige Stadt einzudringen und diese ihren Schutz verstärkt. Die Illustration zeigt, dass es sich nicht um eine Grisaille handelt. Manche der Dächer sind blau, andere rot, wie auch die Krone und Flügel des Engels. Bemerkenswert ist auch hier die Rahmung der Miniatur, die Architekturelemente der Stadt aufnimmt, wie Pfeiler, Filialen, Türme und Zinnen.

 

Die folgende Miniatur bringt eine adere Szene aus der Pélerinage, als einige arme Seelen an der rechten Seite Einlass in die Stadt erflehen. Die drei Heiligen auf der Mauerkrone der Stadt, an die sie sich richten, sind geistliche Würdenträger. Die armen Seelen besitzen Flügel, sind aber keine Engel. Der Roman erzählt davon, dass sich Mönche Flügel anklebten, um schneller und leichter in die Stadt zu gelangen, was jedoch misslang. Diese wie auch die anderen hier zu findenden Szenen (Traum im Spiegel, Engel vor der Stadt, fliegende Mönche) gehörten ab jetzt zu Kanon einer Pélerinage-Illustration, wie etwa MS Français 1645 (um 1350), MS Add 38120 (um 1400), MS 825 (um 1420).

Michael Camille: The illustrated manuscripts of Guillaume de Deguileville’s Pelerinages (1330-1426), Cambridge 1985.
Sabine Morgen: Bildprogramm und Text. Zur Illustration des ‚Pèlerinage de vie humaine’ von Guillaume de Déguileville in den Handschriften Cod. Gall. 30 und Cod. Pal. Lat. 1969, Freiburg i. Br. 1993.
Ulrike Bauer-Eberhardt: Die illuminierten Handschriften französischer Herkunft in der Bayerischen Staatsbibliothek, Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München, Bd. 7, Wiesbaden 2019.

 

tags: Guillaume de Digulleville, Pélerinage, Roman, Mittelalter, Engel, Spiegel, Gotik, Bayerische Staatsbibliothek München
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