Weltgericht aus dem „Roten Hamburger Stadtbuch“ (1306)

Mehr als 700 Jahre alt ist das sogenannte „Rote Hamburger Stadtbuch“, welches von 1301 bis 1306 geführt wurde. Es beinhaltet stadtrechtliche Angelegenheiten, vor allem Gesetze der Stadtregierung aus dem 13. Jahrhundert, die hier niederdeutscher Sprache zusammengefasst wurden. Es gilt als erste überlieferte Stadtrechtaufzeichnung der Stadt Hamburg. „Rot“ wird er nicht wegen seiner politischen Ausrichtung, sondern wegen der Farbe seines Schutzumschlags genannt. Der Band ist von der UNESCO inzwischen zum Weltdokumentenerbe erhoben worden, nicht allein wegen seines Alters oder seiner hervorragenden hochmittelalterlichen Miniaturen, sondern vor allem aufgrund der banalen Tatsache, dass eigentlich jedes Objekt, das es aus der Gotik bis in unsere Zeit schaffte zu überleben, diese Deklaration verdient. Aufbewahrt wird der Band im Hamburger Staatsarchiv.
Schon das erste Blatt bringt, bereits vor dem Text, eine Miniatur – die übrigens einzige ganzseitige Miniatur der insgesamt 344 Blätter. Es wundert kaum, hier das Weltgericht dargestellt zu finden. Es hatte die gleiche Funktion wie die Gerichtsbilder in den Gerichtssälen mittelalterlicher Rathäuser, etwa in Lüneburg oder in Kalkar: Die mit dem Recht beauftragten Personen – Richter, Anwälte, Schöffen, Geschworene – sollten daran erinnert werden, einem höheren als dem irdischen Recht verpflichtet zu sein. Die Darstellungsform ist traditionell und verweist tief in das 13. Jahrhundert zurück, eigentlich sind die Formen noch romanisch gehalten.

Der auferstandene Christus wird nicht in einer Mandorla präsentiert. Hier steht er mit beiden Füßen auf einem Regenbogen, auf dem er ansonsten thronend gezeigt wird. Der anonyme Miniaturist hat dies abgeändert, hat aber irrtümlich die Haltung der Person unverändert sitzend belassen, so dass es aussieht, als würde Christus im freien Raum sitzen. Der Regenbogen geht dann in den Bildrand über und vermengt sich nach unten geschickt mit einem roten Kreuz, das mit einem Kranz behangen ist: die Dornenkrone, die zum Lorbeerkranz mutierte – ein origineller Einfall, den man im Kontext des Himmlischen Jerusalem selten findet. Dieses ist dann unten rechts als extrem schmales Bauwerk eingefügt, ähnlich wie in Cod. Lat. 3900, einem Psalterium von 1259.
Die rote Torfüllung ist eigentlich schon ein Teil des rechten Bildrandes, vielleicht so extrem hoch, um dem Drachenmaul auf der gegenüber liegenden Seite zu entsprechen. Es ist die einzige mir bekannte Darstellung, auf der Petrus durch einen Engel ersetzt wurde, der mit seiner rechten Hand die Pforte aufschließt, mit seiner linken Hand einen weißen runden Gegenstand umfasst, vielleicht eine Türklingel oder Türknauf? Hinter ihm stehen sieben Personen. Es sind Ständevertreter, darunter ein Benediktinermönch und ein Bischof anstelle des Papstes, der hier ebenfalls weggelassen wurde.
Auch weitere Details machen deutlich: Öriginelle Einfälle sollen über das mäßige Können dieses durchschnittlichen Illustratoren hinwegtäuschen. Das Buch war nie für die Öffentlichkeit und auch nicht für kultische Handlungen bestimmt, von daher war man lediglich an dem Bildmotiv interessiert, wollte aber nicht zu viel Geld für hochwertige Miniaturen investieren.

Jürgen Reetz: Hamburgs mittelalterliche Stadtbücher, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, 44, 1958, S.95-139.
Diese Bücher sind Hamburgs größter Schatz: Staatsarchiv am 1. Dezember adelt die UNESCO das ‚Rote Stadtbuch‘, das ‚Pfundzollbuch‘ und die ‚Hanserezesse‘ zum Weltdokumentenerbe, in: Unser Hamburg, 19, 2, 2023, S. 60-63.

 

tags: Weltgericht, Gerichtsbild
Share:
error: