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In Kinderbibeln hat die Apokalypse einen schweren Stand. Überwiegend wird in Kinder- und Jugendbibeln nur eine „passende“ Auswahl von Jesus-Geschichten gebracht, andere Bücher des Neuen Testaments meist weggelassen. Wird dann doch einmal die Johannesoffenbarung gebracht, wird oft auf die Illustrierung des Himmlischen Jerusalem verzichtet: zu fantasiereich, zu spekulativ, nicht kindgerecht. Ob diese Annahmen wirklich zutreffen, darüber gibt es nicht eine einzige empirische Studie. Im Laufe der Jahre lassen sich mit etwas Mühe und Beharrlichkeit doch eine Handvoll Illustrationen des Himmlischen Jerusalem in solchen Büchern auffinden. Das Ergebnis überrascht, denn eigentlich sieht die Stadt nicht anders aus als in anderen Editionen für Erwachsene. Das Gesagte belegt schon die früheste solcher Stadtdarstellungen speziell für Kinder von Johann Amann (1744), dann viele Arbeiten aus dem 20. Jahrhundert von Otto Adolph Stemler, Annie Vallotton, Paula Jordan oder Richard H. D. Gringhuis.
Diese Illustration entstammt einer Edition, die in Kommission beim Verlag Grandi Opere S.p.A. in Mailand herausgebracht wurde: „The Bible for Children“, New York, Barnes & Noble Books, 1994, dort Seite 301. Die Zielgruppe: Nachwuchs aus dem Bereich des Römisch-Katholischen. Dafür konnte man den Zeichner Severino (Severo) Baraldi (1930-2023) aus Sermide (Provinz Mantua) gewinnen. Baraldi war zu dieser Zeit, 1994, kein Unbekannter, sondern ein etablierter Bildlieferant zu Publikationen wie Aladin und die Wunderlampe, Märchenbücher, antike Sagen und Wissensbücher für Jugendliche nicht allein in Italienisch, sondern auch in Polnisch, Deutsch, Französisch und anderen Sprachen.
Sinnierend schaut eine Person in antikem Gewand nach oben und hält beim Niederschreiben kurz inne. Das, was sie dort visioniert, sehen wir direkt vor uns: eine blockartige, niedrige Stadt. Viele Einzelheiten kann man in dem gleißenden Licht nicht ausmachen, zumal die gesamte Stadt in einem einheitliches Ockerton getaucht ist. Vertikale, horizontale und auch diagonale Schraffuren ziehen sich über die Oberfläche des Blocks und lassen Straßen wie Stadtquartiere entstehen. Figuren, ob menschlich oder göttlich, fehlen in dieser Stadt gänzlich, ebenso Edelsteine oder Perlen, auch der Lebensfluss oder der Lebensbaum wurden weggelassen. Der einzige Verweis auf den göttlichen Ursprung, neben der Gloriole und der Goldfarbe, sind die drei Stadttore an einer Seite dieser Anlage.