Mittelalterliche Dekorfliese aus dem Museum Kroměříž (1400-1450)

Kachel- und Keramiköfen sind tatsächlich ein Ort, an dem das Himmlische Jerusalem zur Darstellung kam – offensichtlich regte die warme Behaglichkeit dazu an, sich wie im Himmlischen Jerusalem zu fühlen. In vielen Häusern und Wohnungen waren die Kamine übrigens der einzige Ort mit einer künstlerischen Darstellung überhaupt, denn Ölmalereien oder gar Skulpturen standen nur einer ganz geringen Schicht zur Verfügung. Bislang waren die Bibelfliesen, vor allem in den Niederladen, ein Beispiel für diese Tradition. Es muss jedoch auch ältere Darstellungen gegeben haben, die sich jedoch kaum einmal erhalten haben, da die meisten Kamine mitsamt ihrem Dekor nach Erneuerung der Heizsysteme abgebrochen wurden. Eine Ausnahme ist eine bruchlos erhaltene Dekorfliese aus dem Museum Kroměříž in Ostmähren, Tschechien.
Fachleute datieren diese Kaminfliese in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. Sie ist grünbraun glasiert, was im 15. Jahrhundert der bevorzugte Farbton solcher Objekte war. Sie wurden in Töpferöfen hergestellt, die zu dieser Zeit relativ entwickelte handwerkliche Produktionsstätten mit bis an die fünfzig Meister, Gesellen und Tagelöhner waren.
Die Vorderseite zeigt eine Kachel mit einer Stadt, deren Darstellung des Himmlischen Jerusalem aus mittelalterlichen Miniaturen ähnelt. An erster Stelle stehen hier verschiedene Ausgaben des Liber Floridus, welches ja gerade im 15. Jahrhundert aufblühte, dann gibt es das Neue Jerusalem des Haimo-Codex (um 1110), das Brüsseler Gebetbuch (um 1190), MS 64 (1250-1300), die Edelstein-Apokalypse (1300-1350), um nur einige zu nennen. Markant ist bei dieser Beispielen wie auch auf der Fliese die Bekrönung der Stadtmauer durch Zinnen. Unten wuchtet die hohe Stadtmauer konvex nach außen – eine solche Wölbung in den Raum gewährleistete auch eine optimale Abgabe der Wärme. In der Mitte der Stadtmauer befindet sich ein Rundbogentor – die Himmelspforte in das Neue Jerusalem. Viele schmale, zum Teil kunstvoll dekorierte Türme sind die eigentliche Bebauung dieser Stadt – ihre Anordnung ist symmetrisch, ihre Ausgestaltung individuell.
Die Fliese wurde im Jahr 1892 auf dem Pferdemarkt (heute Masaryk-Platz) der Stadt Kroměříž von dem Sammler, Historiker und Buchdrucker Jindřich Slovák entdeckt. Kroměříž war im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit eine wichtige Handwerksstadt, es gab mehrere Töpfereien. Gleichzeitig war Kroměříž zwischen Brünn und Ostrava auch eine mitteleuropäische Handelsstadt, die Fliese kann genauso in Böhmen, Schlesien oder woanders hergestellt worden sein – Aufschluss gäbe hier allein eine chemisch-mineralogische Bestandsanalyse, was jedoch kaum zu finanzieren ist. Wenn auch die genaue Herkunft unklar bleibt, wissen wir aber, dass solche künstlerisch gestalteten Fliesen sich nur wenige Haushalte leisten konnten, in kleineren Städten waren das die Wohnstätten weniger Händler, der Ratsherren einschließlich des Rathauses, dann die Schule, die Apotheke sowie die Räumlichkeiten der Geistlichkeit – die übrigen 98 Prozent der Bevölkerung konnte sich glücklich schätzen, wenn sie überhaupt einen Kamin besaßen. 

 

Beitragsbild: P. Daňhelová

tags: Fliese, Kamin, Mähren, Tschechien
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