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Russische Weltgerichtsikone aus Wologda (um 1700) und Kopie (19. Jh.)

Diese Ikone wurde von Meistern aus Wologda angefertigt, als Temperamalereie für eine russische Kirche oder ein russisches Kloster. Die Ikone wurde in der Kirche der Siedlung Ostjako-Wogulsk aufbewahrt, bis sie im 20. Jahrhundert in den Besitz von Viktor Samsonow gelangte, einem Sammler russischer Antiquitäten. Ihm kaufte sie die Generation-Foundation des Chanten-Mansen-Bezirks ab und übergab sie 2011 dem Staatlichen Kunstmuseum von Chanty-Mansijsk, einer Stadt am Fluss Irtyschin mit 80.000 Einwohnern in Zentralrussland.

Im Kunstmuseum ist dieses Weltgericht eines der kostbarsten Höhepunkte der russischen Sakralkunst. Das 189 x 140 Zentimeter große Weltgericht zeigt in der linken oberen Ecke das Himmlische Jerusalem mit vielen weiteren gängigen Merkmale eines Weltgerichts: Dem wiederkehrenden Christus, der Totenauferstehung, dem Wiegen der Seelen, der Verdammnis, der Erlösung. Letzteres wird oben links ausführlicher dargestellt.

Im Zentrum stehen zwei größere, stehende Figuren: Maria und Christus. Dieser trägt hier noch sein Kreuz, das eigentlich keine aktuelle Bedeutung mehr hat, aber auf vielen slawischen Ikonen in das Himmlische Jerusalem eingefügt worden ist, zur Erinnerung, wie es zur Erlösung kam. Der Bereich um die beiden Figuren ist bereits leicht gerundet und sollte in den kommenden Jahrhunderten immer deutlicher zu einem Oval werden, wie beispielsweise auf einem Arkadenjerusalem aus Estland (18. Jh.). Sie stehen beide hinter einer hellen weißlichen Mauer, die mit Säulen, Bögen und Schmuck verziert sind. Diese Mauer wird an drei Stellen von Toren überragt, in oder vor denen Engel Wache halten. Links begrüßen sie übrigens eine Reihe weiterer Ankommende, womit diese Malerei zum Typus Fahrstuhlikone gehört. Die Ankommenden füllen die vier Bildtafeln, in denen Heilige in Gruppen zusammen kommen und erwartungsvoll schauen. Meist wird hier das ewige Abendmahl gezeigt, hier nicht. Das Arkadenjerusalem wurde ab 1750 populär, hier haben wir eine seltene Vorform der Zeit von 1700 vor uns.

 

Eine vom Bildaufbau identische Ikone wird im 19. Jahrhundert oder später als Temeperamalerei in Russland entstanden sein, eine Entstehung bis ins 17. Jahrhundert zurück ist auszuschließen. Zwischen Erklärungen in slawischer Sprache mit eindeutigen Schriftmerkmalen des 19. Jahrhunderts findet man auf der 162 x 112 Zentimeter großen Tafel eine Darstellung der himmlischen Welt. So gut wie immer werden dabei drei Tore einer Seite dargestellt, hier jedoch sind es vier.

Die Zahl von vier Toren an einer Seite ist ungewöhnlich und steht gegen den Bibeltext – entweder ist es eine unbewusste Nachlässigkeit oder eine Fälschung, denn bereits im 19. Jahrhundert wurden Ikonen gefertigt, die als wesentlich älter ausgegeben wurden. Mit den Jahren werden solche Fälschungen dann zu echten Werken, die etwas über die Geschichte von Kopien, Plagiaten und Fälschungen aussagen.
Vor allem der zeichnerische Stil verweist ins 19. Jahrhundert, während das Original aus der Zeit von 1700 viel deutlicher malerisch gehalten ist. Ein solcher geometrisch-zeichnerischer Stil hat sich Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts herausgebildet, Beispiele findet man am Besten in Handschriften, etwa in den Apokalypsehandschriften F.98 Nr. 375, F.98 Nr. 767 oder F.98 Nr. 663. Im Bereich der Ikonenkust ist es vielleicht am ehesten mit dem Arkadenjerusalem aus dem 19. Jahrhundert vergleichbar, auch der hellen Farben wegen. Damit keine Missverständnisse entstehen: zeichnerisch ausgerichtete Ikonen hat es bereits im 17. Jahrhundert gegeben (vgl. die Arbeit aus dem Kloster Himmelfahrt Davids in der Wüste), doch nicht in der Wologda-Malerschule.
Die gesamte Vorgeschichte dieser Ikone liegt im Dunkeln, was bereits etwas aussagt. Wir wissen allein, dass sie ex nihilo um das Jahr 2020 auftauchte und mehrfach bei Ausstellungen der Ikonensammlung in Zilina (Slowakei) zu sehen war. Das war der Fall bei der Ausstellung „Das geheimnisvolle Antlitz Jesu Christi“ und zuletzt 2024 bei der Ausstellung antiker Ikonen anlässlich des 800. Jahrestages der Stigmatisierung des Heiligen Franz von Assisi in der Kapelle St. Johannes der Evangelist in der Franziskanerkirche in Bratislavalava, welche in Kooperation mit der Ikonensammlung durchgeführt wurde. Dazwischen stand die Ikone auch einmal in Monte Carlo zur Versteigerung an. Wäre das Kunstwerk tatsächlich aus dem 17. Jahrhundert, würde man es kaum im Jahrestakt für verschiedene Ausstellungen und Auktionen hin- und hertransportieren, sondern üblicherweise können solche Pretiosen nur in Ausnahmefällen einmal das Haus verlassen.

 

tags: Ikone, Weltgericht, Fälschung, Wologda, Staatliches Kunstmuseum von Chanty-Mansijsk, Hôtel des Ventes de Monte Carlo
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