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Ikonentyp Jerusalemsoval, ab 1770-1780

Diese Darstellung des Jüngsten Gerichts stammt aus Russland und ist in der dortigen Wolgaregion (Powolschje) im 18. Jahrhundert entstanden. Heute befindet sich das Kunstwerk im Besitz der Galerie Dejavu im russischen Kasan. Es ist 180 x 137 Zentimeter groß und auf der Basis von Holz, Gips und Tempera angefertigt worden. Ihre Entstehungszeit wird von Fachleuten auf zwischen 1770 und 1780 eingegrenzt. Bezüglich des Himmlischen Jerusalem, welches oben links angebracht ist, gehört das Bild zum Typ der Arkadenikonen, auf denen die Arkaden Jerusalems, wie auch hier, meist übereinander gesetzt in roter Färbung dargestellt sind. Zerteil ist die Stadt von einem hellen Nimbus, in dem sich Christus und Maria gegenüber stehen, so wie sich auf der gegenüber liegenden Seite Christus und Gottvater gegenüber sitzen. Zu dem Neuen Jerusalem oben links gehört unten rechts das (alte) Paradies. Beide biblischen Orte sind durch ein Band verbunden, auf dem Engel menschliche Seelen nach oben verhelfen.
Ich nenne diese Darstellungsweise „Jerusalemsoval“. Sie ist schnell zu erkennen, was bei den folgenden Beispielen noch deutlicher wird. Ihre Merkmale sind:
-im Zentrum Jerusalems ein Oval mit Maria links und Christus als König mit einem Kreuz rechts
-fast immer acht Arkaden, vier davon links des Ovals, vier davon rechts
-im unteren Abschluss eine Mauer mit zwei Toren, in denen immer Engel stehen.

 

Eine ähnliche Konzeption und auch Farbgebung findet sich auf einer weiteren Ikone, die als Variante älterer Ikonen gelten darf. Das Kunstwerk belegt im Vergleich mit dem älteren Objekt, wie genau Motive beibehalten wurden, sich gleichzeitig der Malstil weiterentwickelte und einer neuen Zeit anpasste, und dies schon nach wenigen Jahren. Bezüglich des Himmlischen Jerusalem wurden kleine Änderungen eingefügt. So sind die Arkaden nicht länger rot, sondern rosafarben. Unter den Arkaden sind jetzt auch die Stadtmauer und Tore deutlicher zu finden, in denen Engel Wache halten. Diese Weltgerichtsikone hat eine bewegte Geschichte. Sie ist im 18. Jahrhundert in der Wolgaregion angefertigt worden, war dann im 19. Jahrhundert in Estland und wurde im 20. Jahrhundert in den Westen exportiert. Nach einer ersten Versteigerung fand man das Kunstwerk 2013 auf der holländischen Ausstellung „Goddelijke inspiratie. Russische ikonen ontmoeten westerse kunst“. Nur wenige Jahre später stand das Werk wieder zum Verkauf an. Von der Gesamtgröße 140 x 106 Zentimeter ist hier lediglich der obere Abschluss der Ikone zu sehen, mit einem rosafarbenen Neuen Jerusalem links, darin hervorgehoben Christus mit Kreuz und Maria. Es handelt sich um eine Temperamalerei, Teile der Gewänder und der Architektur sind vergoldet.

 

Diese Beispiel ist eine Weltgerichtsikone aus Soligalich, einer Kleinstadt in der Oblast Kostroma, die bekannt für ihre Ikonenproduktion ist. Die Arbeit entstand im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Wie inzwischen populär, wurde an der Himmelspforte Christus zusammen mit Maria, der Königin des Neuen Jerusalems, gezeigt. 

Natal’ja I. Komaško: Kostromskaja ikona XIII – XIX vekov, Moskva 2004.

 

Diese Darstellung des Jüngsten Gerichts stammt wieder aus der russischen Wolgaregion. Heute befindet sie sich im Kunstmuseum benannt nach V. V. Vereshchagin in der ukrainischen Stadt Mykolaiv. Es ist die einzige bekannte Fassung, auf der Christus mit dem Kreuz links Maria gegenüber gestellt wurde. Das Kunstwerk im russischen Spätbarock hat eine Gesamtgröße von 125 x 98 Zentimeter; der Ausschnitt mit dem Neuen Jerusalem beträgt 55 x 40 Zentimeter. Es ist datiert auf das Jahr 1799.

 

Die Geschichte dieses Ikonentyps ging noch weiter! Um das Jahr 1890 entstand in der zentralrussischen Region Wladimir diese Weltgerichtsikone als Ölmalerei. Sie hat eine Gesamtgröße von 180 x 136 Zentimeter. Das Himmlische Jerusalem ist, wie zuvor, ein Detail an der oberen linken Ecke. Im gegen Ende des 19. Jahrhundert populären neobarocken Stil zeigen sich mehrere Arkaden, in denen Heilige versammelt sind. Im unteren Bereich sind zwei der Tore des Neuen Jerusalem zu sehen, mit jeweils einem Engel als Wächter darin. Die Mauer dazwischen zeigt die Edelsteine der Gottesstadt.
Nach 1989 wurde diese Ikone aus Russland herausgebracht und dem internationalen Kunstmarkt zugeführt. 2010 wurde sie bei dem Auktionator MacDougall Arts Ltd., der auf russische Kunstwerke spezialisiert ist, in London versteigert.

 

Selbst im 20. Jahrhundert finden sich Beispiele für den Ikonentyp Jerusalemsoval, wie diese Arbeit, die vermutlich unmittelbar nach 1989 entstanden ist. Es handelt sich um eine moderne Ikone aus der orthodoxen Kirche Nordamerikas, mit dem Titel „The Awesome Judgment“. Die Pforte des Paradieses unten links ist verschlossen, aber die Tore Jerusalems oben links stehen offen. Auch die Mauern beider Orte sind identisch gestaltet. Die weiteren Merkmale, wie die vier Arkaden, die Engel, das Kreuz und anderes zeigen, dass man den ersten Fassungen aus dem 18. Jahrhundert treu geblieben ist.

Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).

 

tags: Weltgericht, Russland, Wolga, Tempera, Arkaden, Galerie Dejavu, Estland, Hargesheimer Kunstauktionen, Barock, Museum V. V. Vereshchagin, Ukraine, Wladimir-Region, MacDougall Arts Ltd. London, Auktion, Oblast Kostroma
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