Das Blatt 7r einer Legenda Aurea (um 1405) wurde zur Vorlage für eine ähnliche Torszene eines lateinischen Stundenbuchs, entstanden zwischen 1430 und 1460. Dieses Buch war später im Besitz von Philippe de Béthune (1561-1649), einem Adeligen, Militär, Hofbeamten, Diplomaten und vor allem leidenschaftlichen Kunstsammler. Dieser Band, einem Prachtwerk seiner umfangreichen Sammlung, ist heute in der Stadtbibliothek von Tours zu finden (MS 218). Auftraggeber und ausführende Künstler sind auch hier anonym geblieben.
Obwohl die Architektur der gotischen Himmelspforte im Kontext eines Weltgerichts auf fol. 95v älter erscheint, ist diese Miniatur fast eine Generation jünger. Auch die Auferstehung der Toten und der übergroße Petrus, der so kaum durch die Tür passt, wurden wieder eingefügt, beides Motive aus der frühen Gotik. Beibehalten und weiterentwickelt wurden der blaue Hintergrund (hier ohne Sterne) und Christus auf dem Regenbogen sitzend, traditionell assistiert von Maria (links) und Johannes dem Täufer (rechts). Insgesamt lässt sich auf dem Bild an vielen Details nachweisen, dass die Gotik um 1450 noch stark präsent war (vor allem auch in Blockbüchern, vgl. den Heidelberger Bilderkatechismus) und die Entwicklung zu einem neuen Stil nicht linear, sondern sich mit Brüchen und Rückgriffen vollzog. Gleichzeitig wie diese Illustration vorangegangene Bildmotive aufgegriffen hat, so hat sie selbst wieder auf spätere Stundenbücher gewirkt, namentlich das Pembroke Psalter-Stundenbuch und das Brügger Stundenbuch (beide 1460er Jahre).
Augustin Dorange: Catalogue descriptif et raisonné de la bibliothèque de Tours, Tours 1875.
Joseph van den Gheyn: Catalogue des manuscrits de la Bibliothèque Royale de Belgique, 5: Histoire, Bruxelles 1905.
Michèle Prevost: Tours, Bibliothèque Municipale, Patrimoine des bibliothèques de France, un guide des régions, 10, Paris 1995.
Claus Bernet: Torszenen, Himmelspforten, Porta Coeli, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 11).