MS Fr. F. v. IV. 4: Guillaume de Digullevilles „Pélerinage de la vie humaine“ (um 1410)

So gut wie unbekannt ist eine Ausgabe der Pélerinage, die in der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg aufbewahrt wird, zusammengebunden mit anderen mittelalterlichen Texten (MS Fr. F. v. IV. 4). Jerusalem wird auf vier kleinen Miniaturen präsentiert, jeweils auf fol. 87/87v sowie fol. 88/88v. Die Arbeiten wurden im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts in Frankreich ausgeführt, später von dem Bibliothekar und Kunsthändler Peter Dubrowski (1754-1816) in Paris erworben und 1805 nach Russland verkauft.

Im ersten Bild von fol. 87v scheint der Spiegel an der Decke zu hängen, ähnlich wie in MS 9 (um 1400). Die Stadt besteht unten aus vor- und zurückspringenden Mauern im Zackenstil, über denen sich blaue und rote Dächer erheben. Dazwischen markiert eine goldgelbe Stelle eine Beschädigung, die auffällig viele Ausgaben der Pélerinage genau an dieser ersten Darstellung Jerusalems aufweisen.

Die folgenden drei Miniaturen zeigen Jerusalem als hoch gebaute, schmaltürmige Festungsanlage. Deren kahle grauen Mauern zeigen keine Fenster, zuletzt nicht einmal mehr einen Zugang.
Die zweite Miniatur auf fol. 87v zeigt den Cherub mit Flammenschwert, als menschliche Gestalt ebenso wie die entsprechenden Miniaturen des Aymar de Poitiers (um 1460). Einzigartig und woanders so nicht zu finden ist die bunte Dachlandschaft, die wie Zelte eines Heerlagers aussieht.

Fol. 88 zeigt die Szene, auf der Mönche sich als Vögel verkleiden, um einfach in die Stadt einzufliegen. Von den fünf Vögeln wurde lediglich einer beispielhaft ausgemalt, die anderen sind lediglich als Kreuze im Himmel markiert. Die Bewohner der Stadt, hier offensichtlich Ritter, können vertrauensvoll die Augen schließen, denn dieser Versuch wird ohnehin scheitern. Die beiden schmalen Tortürme sind übrigens angelehnt an das Stundenbuch von Jean Duc de Berry 1408/09 aus The Cloisters, New York.


Einen letzten Versuch in die Stadt zu gelangen zeigt fol. 88v. Hier mühen sich zwei nackte Mönche anhand einer Kordel nach oben. Bemerkenswert sind die extrem kahlen und steilen Wandpartien, die man so auch in French MS 2 (um 1416), bei Meister Simon Marmion (bei 1474) und in der Apokalypse der Margareta von York (um 1475) findet. Die Chancen stehen besser, die beiden Ritter sind verschwunden, die Mönche erhalten Hilfe von einem Bewohner, der durch einen Heiligenschein Vertrauen erweckt. Auch hat dieser die Augen nicht verschlossen, sondern die beiden Personen im Blick, die er retten möchte.

A. Borodina, B. A. Malkievitch: Rukopisnoe Nasledie V. F. Chichmareva v Arkhive Akademii Nauk SSRU. Les Manuscrits de V. F. Chichmarev. Actes des Archives 21, Moskau 1965.

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