Erstaunlicherweise sind die meisten frühen Malereien der Maria Immaculata bereits zuverlässig bestimmten Meistern oder Malerschulen zugewiesen, vielleicht auch Dank der Forschung im Umfeld öffentlich zugänglicher Museen und Kunstsammlungen. Gelegentlich tauchen dann auch auf Auktionen oder bei Kunsthändlern Ölmalereien der Maria Immaculata bzw. Tota Pulchra auf, die bereits im 16. Jahrhundert entstanden sein sollen. Vor allem im 21. Jahrhundert haben diese Funde auffällig zugenommen. Es ist erstaunlich, dass über Jahrhunderte diese Preziosen ein stilles Dasein geführt haben, wissenschaftlich nirgends dokumentiert sind, bis sie plötzlich als Sensation auftauchen und zu einem entsprechenden Preis angeboten werden. Für die kunsthistorische Forschung sind diese Auktionen eine Herausforderung. Im besten Falle können Arbeiten sorgfältig, aber zurückhaltend dokumentiert werden, was auch im besten Fall die Kenntnisse über die bereits bekannten Malereien erweitert und ergänzt.
Eine dieser Neuentdeckungen, Tota Pulchra genannt, soll aus einer spanischen Malerschule stammen. In der Tat gibt es große Ähnlichkeiten mit den spanischen Gemälden von Joan de Joanes, Juan Masip oder auch Vicente Macip aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Weiteres über Herkunft, Entstehungshintergrund, Auftraggeber oder beteiligte Künstler ist nicht bekannt. Die Gesamtgröße beträgt 78 x 58 Zentimeter, die beiden Ausschnitte sind jeweils 18 x 10 Zentimeter klein. Die Malerei ist in keinem guten Zustand, Beschädigungen kann man etwa rechts bei der Civitas Dei festmachen, ebenso am Marienmantel oberhalb der Mondsichel. Bemerkenswert scheint mir vor allem die Porta Coeli (Porta Celi). Sie befindet sich seitlich links der Marienfigur. Die äußere Gestaltung der Pforte ist klassisch-traditionell. Im Inneren jedoch steht ein großer Engel, dessen Flügel so aussehen, als würden sich im Hintergrund weitere Figuren befinden. Die Porta Coeli mit Figur ist selten; es wäre, wenn das Alter des Werkes zutreffend ist, der früheste Beleg für dieses Detail.
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Hinter einem breiten Schriftband erscheint eine Pforte in Form eines spätmittelalterlichen Tores, mit zahlreichen Zinnen und zwei seitlichen Rundtürmen. Wenngleich auch viel durch das weiße Band mit der Aufschrift „Macvla“ verdeckt ist, so scheint diese Pforte offen zu stehen. Überschrieben ist sie fälschlicherweise mit „Civitas Dei“. Dabei fällt auf, dass die Schrift in dünnen Lettern nicht, wie im 16. Jahrhundert üblich, in ein Band gesetzt wurde. Auch an vielen anderen Stellen ergeben sich Fragen: Der Garten (Hortus Conclusus) ist mit einem modernen Jägerzaun umzogen, der Brunnen ähnelt einem Zylinderhut. Angefertigt haben soll dieses insgesamt 112 x 74 Zentimeter große Werk ein gewisser „Maître de Campofranco“. Das Eigenartige ist jedoch, dass man diesen Meister, wenn er denn einer war, mit keinen anderen Werken kennt, noch nicht einmal eine nennenswerte Malerschule befand sich in der sizilianischen Stadt. Obwohl ich die Arbeit leider nicht per Autopsie begutachten konnte, halte ich sie für eine, wenn auch gut gemachte (wäre sie sonst von einem seriösen Auktionshaus angeboten worden?), Fälschung des 21. Jahrhunderts.
Diese Maria Immaculata aus Neuspanien befindet sich noch im Originalzustand, das heißt, die gut gemeinten Restaurierungen haben ihr nicht ein Aussehen verliehen, als wäre sie gestern gemalt worden. Dieses Werk ist nachweislich keine Fälschung, sondern gehört seit vielen Jahren zum Bestand des Mexiko-Museums in San Francisco. Die Spruchbänder an der rechten Seite der Marienfigur mit einem Sternenmantel zeigen an, dass wir oben die offene Porta Coeli, unten die Civitas Dei haben. Beide Objekte sind noch sehr der Renaissance verhaftet, auch der dunkle Rot- wie Braunton lässt eine Entstehung im späten 16. Jahrhundert auf mexikanischem Territorium vermuten.
Wie häufig, ist auch auf dieser Mariendarstellung von 1590 bis 1620 die Himmelspforte links oben neben der roten Sonne und die Civitas Dei rechts unten zu finden. Die beiden Ausschnitte gehören zu einem Gemälde der Maria Immaculata, bei der in der Mitte eine stehende Marienfigur von zahlreichen ihrer Symbole umgeben ist.
In der Himmelspforte, die offen zu sein scheint, erscheint eine kleine menschliche Figur (kein Engel). Was damit gesagt sein soll, ist letztlich nicht geklärt, vielleicht handelt es sich um eine allegorische Darstellung der menschlichen Seele. Schon 1567 hatte Cornelis Cort solch ein Figürchen in eine Himmelspforte gesetzt, von wo aus diese Darstellungsweise bekannter wurde. Die Civitas Dei ist im gleichen cremeweißen Ton gehalten wie die Pforte, womit sicher auf Marmor als kostbaren Baustoff angespielt ist. Neben einer glatten Mauer mit Zinnen findet man hier erneut eine Pforte, die die Stadtmauern sogar überhöht. Durch den schönen Bau mit einem Segmentgiebel vermag man weitere Bauten in der Stadt zu sehen; allerdings ist von diesem Tor nur die Hälfte sichtbar, da es durch den Bildrand getrennt ist. Die Vorlage dazu reicht noch weiter zurück, man findet eine ähnliche Civitas Dei auf einem Epitaph in St. Sebastian in Ingolstadt von 1556.
Beide Symbole sind in lateinischer Sprache beschriftet, allerdings ohne ein Schriftband, was um 1600 als nicht mehr sonderlich modern galt. Der anonyme Maler dieser vermutlich spanischen Arbeit (Gesamtgröße 210 x 160 Zentimeter), die vorangegangene Malereien lediglich schematisch kopiert, ist nicht bekannt. Heute befindet sich dieses Werk im Kloster Santa María de Jesús in Sevilla.
Enrique V. González, Alfredo J. Morales Martinez: Sevilla oculta. Monasterios y conventos de clausura, Sevilla 1980.
Gloria Centeno: Monasterio de Santa Maria de Jesús, Sevilla 1996.
Antonio de la Banda Vagas, Miguel Angel Catalá Gorgues: Inmaculada: 150 anos de la proclamación del dogma, Sevilla 2004.
Claus Bernet: Maria Inmaculata: Das katholische Jerusalem, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 14).
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