
Um bzw. noch vor 1262 soll die Apokalypse von Abingdon entstanden sein, die nach ihrem Ort der Entstehung, dem Kloster Abingdon bei Oxfordshire, benannt ist. Dann kam sie in das Londoner British Museum, schließlich in die British Library, unter der Signatur MS Add. 42555. Wie bei Darstellungen in Benediktinerklöstern üblich wird auch hier auf fol. 78v zunächst das Niederschweben der Stadt vor rotem Hintergrund gezeigt.
Anschließend präsentiert sich auf fol. 79v die Gottesstadt in Form mehrerer Reihen übereinander gestellter Portalöffnungen, in der man lediglich (männliche) Gesichter erblickt. Diese Miniatur ist – bis auf die Gesichter in den Portalen – der entsprechenden Darstellung in der Gulbenkian-Apokalypse überraschend ähnlich. Eigenartiger sehen blicken die Menschen wenig erlöst aus, ganz im Gegenteil, ihre Physiognomien erscheinen zum Teil grimmig, unzufrieden, ja hasserfüllt.
Auf fol. 80v wird das Himmlische Jerusalem erneut gezeigt, wie die Stadt vom Lebensfluss getränkt wird. Die Präsentation der Stadt auf dieser Szene als Paradiesgarten oder, wie hier, als Kirche oder Tabernakel ist im Prinzip seit der Paris-Apokalypse (1245-1255) gleich geblieben. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht jedoch nicht Christus (rechts) oder Petrus (links), sondern ein gewaltiger Engel, dessen mächtige Flügel den Bilderrahmen sprengen.
42555. The Abingdon Apocalypse, in: The British Museum catalogue of additions to the manuscripts 1931-1935, London 1967, S. 40-42.
Peter Klein: Endzeiterwartung und Ritterideologie: Die englische Apokalypsen der Frühgotik und MS Douce 180, Graz 1983.
Nancy L. Ross: Forgotten revelation. The iconic development of the Anglo-Norman verse and early prose apocalypse manuscripts. Cambridge 2006.