Vicente Juan (de Juanes) Masip war ein Spanier, der von etwa 1523 bis 1579 lebte. Eine kleinere seiner Ölmalereien (92 x 77 Zentimeter) aus dem Jahr 1537 kam Anfang des 21. Jahrhunderts in den Kunsthandel und stand 2019/2020 mehrfach zur Versteigerung an. Sie wird wahlweise als Tota Pulchra oder als Maria Immaculata bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein Genre, welches im 16. Jahrhundert überaus beliebt war; man vergleiche die ähnlichen Arbeiten in Öl von Benvenuto Tisi, Joan de Jones oder Antonio Vázquez. Darüber hinaus gibt es das Motiv auch als Wandfresko, in der Buchkunst und als Steinrelief.
Rechts mittig neben der Marienfigur finden sich die offene Himmelspforte und rechts unten die Gottesstadt, beide mit einem lateinischen Spruchband als solche tituliert. Es sind Architekturdarstellungen mit typischen Renaissancemerkmalen. Vermutlich wurden diese beiden Elemente lediglich von Masip skizziert und dann von Gehilfen ausgeführt, die sich auf solches Beiwerk spezialisiert hatten.
Anfang des 21. Jahrhunderts tauchte noch ein weiteres Ölgemälde der Maria Immaculata auf, das im Umkreis von Juan Masip (1475-1545) entstanden sein soll. Die Entstehungszeit wird auf um 1550 geschätzt.
Vergleicht man diese Arbeit mit Masip, dann fällt auf, dass sowohl die Marienfigur als auch ihre Symbole anders aussehen als hier, auch sind sie an anderen Positionen: Hier findet man beide Symbole, die das Himmlische Jerusalem repräsentieren, auf der linken Seite übereinander gesetzt. Zunächst haben wir oben die Himmelspforte. Es ist ein massiver Bau in einer klassischen Ausführung. Ungewöhnlich ist, dass das Objekt lediglich dunkler gesetzt ist als die bräunliche Hintergrundfarbe, während andere Darstellungen der Porta Coeli aus der Mitte des 16. Jahrhunderts meist einen farblichen Kontrast zu ihrer Umgebung zeigen. Dieses Symbol heißt auch nicht Porta Coeli, sondern „Portasel“ – was das heißen soll, weiß ich nicht, ich kenne diese Schreibweise von keiner anderen mir bekannten Darstellung der Maria Immaculata.
Die Gottesstadt ist an die untere linke, nicht, wie üblich, rechte Ecke gesetzt. Es scheint sich um eine starke Befestigungsanlage zu handeln, bei der eine breite Zugangspforte auffällt, die dem vorherigen Objekt nicht unähnlich ist, jedoch rustikaler. Von einem Farbkontrast kann man kaum mehr sprechen, die Gottesstadt scheint in einen Nebel getaucht zu sein. Bemerkenswert erscheint die Beischrift, die ich keinem sinnvollen lateinischen Begriff zuordnen kann. Auch die übrigen Symbole weisen Fragen auf, so dass man berechtigt zur Disposition stellen darf, ob man hier wirklich eine „spanische Arbeit des 16. Jahrhunderts“ vor sich hat. Auch wenn die Malerei nur 86 x 79 Zentimeter misst, ist es doch unwahrscheinlich, dass sie der Kunstwelt nicht bekannt war und im 21. Jahrhundert einfach ex nihilo auftauchte. Leider hatte ich erst nach Versteigerung (2016) von diesem kunsthistorisch interessanten Werk erfahren, so dass sich keine Autopsie vor Ort ergeben hat. Heute befindet sich das Werk in einer Privatsammlung.
Peyton Wright: The art of devotion, Santa Fe 2014.