
Hans Burgkmair (1473-1531) steht deutlich unter dem Einfluss Dürers, bei dem er gelernt hatte. Sein Wirkungsort war Augsburg. 1523 fertigte auch er einen Holzschnitt zur Apokalypse an, eine freie Nachschöpfung der Apokalypse-Illustrationen aus der Werkstatt von Lucas Cranach zu Luthers Bibelübersetzung von 1522. Im Ergebnis ist der Charakter seiner künstlerischen Arbeit aber weniger dynamisch-zugespitzt, sondern feierlicher und freundlicher.
Auch Burgkmair scheint sich mehr für die expressive Landschaft im Vordergrund mit ihrer unwirklichen, ja grotesken Pflanzenornamentik zu interessieren als für das eigentliche Thema seines Bildes, das Neue Jerusalem. Man sieht das Halbrund einer Stadt mit mehreren Türmen und darauf wachenden Engeln. Die Stadt selbst erscheint unbelebt und im Inneren unbebaut. Der Engel, der von einer Anhöhe dem Johannes die Stadt zeigt, trägt nun, im Gegensatz zu Dürer und in Übereinstimmung mit der Textvorlage, einen Stab, mit dem er die Stadt ausmisst – Burgkmair hat, nicht nur hier, die Forderung der Reformatoren auf Genauigkeit gegenüber dem Bibeltext ernst genommen, ernster als viele seiner Kollegen zumindest.
Die Abbildung von fol. CXCr wurde für die deutsche Ausgabe des Neuen Testaments hergestellt, das 1523 in Augsburg bei Silvan Otmar als Konkurrenzunternehmen zur Lutherbibel erschien. Die Drucklegung geschah in höchster Eile, und gleichzeitig wollte man nicht hinter die Qualität der Lutherbibel zurückfallen. Das ist ihm kaum gelungen, denn sowohl gegenüber Dürers als auch gegenüber Cranachs Arbeiten wurde die Apokalypse Burgkmairs immer als zweitklassig bewertet. Zurecht?
Apokalypsis Ioannu ou la révélation de notre-seigneur Jésus-Christ à saint Jean, Rome 1963.
Frank Jakupski: Der Maler Hans Burgkmair d. Ä., Bochum 1984.
Karl Arndt: Hans Burgkmair illustriert die Offenbarung des Johannes, in: Stephan Füssel, Joachim Knape (Hrsg.): Poesis et pictura, Baden-Baden 1989, S. 255-276.
Ashley West: Hans Burgkmair the Elder (147-1531) and the visualization of knowledge, Philadelphia 2006.