Der Reformator Martin Luther konnte sich mit dem erzwungenen Exil auf der thüringischen Wartburg nur schwerlich abfinden. Aber die scheinbar verlorene Zeit wurde zu großem Segen, nicht nur für ihn: In nur elf Wochen übersetzte Luther dort das gesamte Neue Testament in die deutsche Sprache.
Die sog. „Septemberbibel“ (nach dem Monat, in dem die Hauptarbeit geleistet wurde) wurde dann von Melchior Lotther gedruckt und von Christian Döring und Lucas Cranach dem Älteren (1472-1553) verlegt. Schon in der Erstausgabe findet sich ein Holzschnitt zum Himmlischen Jerusalem. Er wurde ganzseitig neben die Eröffnung des 21. Kapitels der Apokalypse gesetzt. Bei dieser beeindruckt vor allem der mächtige Engel mit seinen hoch aufragenden Flügeln, was Cranach von Dürer übernommen hatte. Die Stadt darunter mit eng aneinander liegenden Häusern und verwinkelten Gassen ist zeitgenössisch; Nürnberg dürfte ähnlich ausgesehen haben. Anders ist es vor der Stadt: Hier findet man drei Tore mit parallel gesetzten geraden Brücken – eine Zutat, die sich nicht in der Stadtbeschreibung der Apokalypse findet. Die Arbeit stammt aus der Cranach-Werkstätte. Möglicherweise war an dem Werk auch Lucas Cranach d. Ä. beteiligt, an diesem Holzschnitt wohl der junge Hans Cranach (um 1500-1537), worauf die Signatur „H“ im Bild unten verweist. Dank der Aufnahme in das Septembertestament wurde sie zu einer der bekanntesten Darstellungen des Neuen Jerusalem aus der Reformationszeit.
Richard Kuhn: Verhältnis der Dezemberbibel zur Septemberbibel. Kritischer Beitrag zur Geschichte der Bibelsprache M. Luthers, Greifswald 1901.
Gustav Roethe: Luthers Septemberbibel, in: Luther-Jahrbuch, 5, 1923, S. 1-21.
Hildegard Zimmermann: Beiträge zur Bibelillustration des 16. Jahrhunderts. Illustrationen und Illustratoren des ersten Luther-Testaments und der Oktav-Ausgaben des Neuen Testaments in Mittel-, Nord- und Westdeutschland, Reprint Baden-Baden 1973.