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Queen-Mary-Apokalypse (1300-1325)

Die Queen-Mary-Apokalypse enthält den Apokalypsetext mit einem Kommentar und einem Prolog von Gilbert von Poitiers (um 1080 – 1155). Ihr Name rührt daher, dass einer der drei anonymen Illustratoren als „Queen Mary Master“ bezeichnet wurde. Nicht jedoch bei den hiesigen Abbildungen, denn diese stammen von einem anonymen Künstler mit dem Notnamen „Hand II“. Entstanden ist diese Handschrift entweder in London oder Umgebung, und zwar im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts. Die Handschrift befindet sich heute unter der Signatur MS Royal 19 B XV in der British Library in London. Der blockartige Bildaufbau hat keine Vorläufer und ist eine Charakteristik des Miniaturisten. Fol. 5v zeigt eine Himmelspforte samt einer Himmelsleiter, von der aus ein Geretteter von einem Engel in das Neue Jerusalem gezogen wird. Es finden sich bereits viele Merkmale, die Jahrhunderte später auf Ikonen des Johannes Klimakos, auch „Leiter der Tugend“ genannt, wiederkehren sollten.

Gegen Ende der Handschrift kommen weitere Miniaturen zum Neuen Jerusalem, wie meist bei englischen Apokalypsen des 14. Jahrhunderts, drei Stück. Bemerkenswert ist, dass alle Stadtdarstellungen auf ein helles Rot und kräftiges Blau zurückgreifen. Auf fol. 40v zeigt ein Engel dem Johannes die Stadterscheinung. Hier ist es nicht Johannes auf Patmos, der auf dem Felsen steht, sondern der Engel. Die Stadt ist recht schematisch dargestellt, erinnert eher an einen Backofen als an eine urbane Siedlung für 144.000. Unten wird der Lebensfluss gezeigt, auch hier nicht in einer Paradieslandschaft, sondern in einem braunen Abflusskanal (fol. 43v zeigt ihn teilweise erneut). Von der Stadt ist kaum etwas zu erahnen; man sieht weder Bewohner, noch Edelsteine, Türme oder Engel. Über einer ersten Zinnenbekrönung öffnet sich ein Fünfpass und man scheint durch das Gebäude auf den Himmel zu sehen. Weiter oben schließt eine zweite Zinnenbekrönung an und lässt etwas Raum für den blauen Hintergrund. Was darüber wie eine Fehlstelle oder Beschädigung aussieht, soll die göttliche Wolke sein (vgl. fol. 25v. der Trinity-Apokalypse oder fol. 45r. der MS B.10.6).

 

Ganz anders fol. 41v. Erneut sehen wir links Johannes und den Engel, aber in umgekehrten Größenverhältnissen. Neben ihnen stehen in zwei übereinander gesetzten Reihen zwölf Stadttore, deren Flügel alle geschlossen sind. Die Edelsteine sind hier nicht das Fundament der Stadt unten, sondern ihr Schmuck oben. Die Miniatur belegt, dass der Darstellungsvorschlag der Paris-Apokalypse ( fol. 41v) noch immer rezipiert wurde.

 

Eine abschließende Miniatur auf fol. 43v kehrt wieder zu fol. 40v zurück, ist aber etwas mehr ausgeschmückt. So ziehen sich nun die Äste des Lebensbaums wie Ranken eines Weinstocks von Stadtturm zu Stadtturm. Auf dem linken Turm steht ein Adorant, als Gegenpart zu der Gottesfigur und dem Lamm im Nimbusbereich oben. Die menschliche Figur gestikuliert heftig und deutet auf den Mittelturm, es bleibt aber offen, was hier Wichtiges mitgeteilt werden soll; in der Offenbarung des Johannes ist diese Szene jedenfalls nicht zu finden.

Eric G. Millar: English illuminated manuscripts of the XIVth and XVth century, Paris 1928.
Elfrida O. Sounders: English illumination, 1, Paris 1928.
Aileen Hyland Laing: The Queen Mary Apocalypse, London, British Museum, Royal MS 19 B. XV, Baltimore 1971.
Claus Bernet: Miniaturen des Mittelalters, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 28).

 

tags: Apokalypse, England, London, Himmelpforte, Kanal, Gotik, Mittelalter
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