Matthias Gerung wurde vermutlich um 1500 in Nördlingen geboren, ging beim dortigen Maler Hans Schäufelein in die Lehre und kam in Kontakt mit Hans Burgkmair. Schon 1530, als er künstlerisch noch kaum hervorgetreten war, bekam er von seinem Landesherrn Pfalzgraf Ottheinrich (1502-1559) den Auftrag, eine Bibel zu illustrieren. Als Bezahlung waren 130 Florentiner Goldgulden, ein Winterkleid, Rock, Hose und Wams (Weste) ausgemacht.
Ottheinrich war hochgradig bibliophil. Er besaß schon seit seiner Kindheit eine Bibelhandschrift von Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt, die er jetzt bebildern wollte. Dabei war laut erstem Vertrag die Apokalypse ausdrücklich nicht zur Illustration vorgesehen. Erst nachdem Gerung die Arbeiten beendet hatte, wurde am 24. September 1531 ein weiterer Vertrag für die Apokalypsebilder aufgesetzt, die Gerung 1532 schnell nachlieferte, wenn er nicht ohnehin schon Zeichnungen dazu bei der Hand hatte.
Die hochwertige Bibelausgabe, an der der Verleger Sigismund Feyerabend in Frankfurt arbeitete, konnte dann aber erst nach dem Tod des Fürsten 1560 erschien. Das Original gelangte nach vielerlei Kriegswirren um 1640 nach Gotha und wurde unter dem Namen „Gothar Bibel“ bekannt. Die dortige Bibliothek zerlegte um 1860 den Band in mehrere Teilbände. Einige dieser Teilbände wurden schließlich von den Amerikanern am letzten Tag ihrer Besatzung Thüringens als Beutekunst nach Bayern verschleppt, lediglich der leere Bucheinband blieb in Gotha zurück. Heute wird der Band von der Bayerischen Staatsbibliothek in München kommissarisch aufbewahrt.
Das Bild zum Himmlischen Jerusalem auf Seite 303v fällt durch seine Farbigkeit auf, sowie durch die drastische Gegenüberstellung der friedlichen Gottesstadt und des Sturzes von Satan in die Hölle, die dann für tausend Jahre verschlossen bleibt. Eigentlich erscheint erst nach Ablauf dieser Jahre das Himmlische Jerusalem, doch spätestens seit Dürer werden diese beiden Sequenzen immer wieder in einem Bild zusammengefasst. Der Sieg über den Teufel wird durch die exponierte Zurschaustellung des übergroßen Schlüssels verdeutlicht, den der weiße Engel empor hält. Ein weiterer Engel zeigt Johannes auf einem Fels. Die Stadt, auf deren Toren weitere Engel stehen, liegt in einer Art Talmulde, hinter der sich weitere Hügel erheben. Auf einem dieser Hügel ist, mit dem markanten Rundturm, die Burg von Burglengenfeld zu erkennen, auf der Ottheinrich seine Regentschaft antrat. Bei der Stadt fallen die sandsteinfarbenen, glatten, schmuck- und fensterlosen Mauern auf, die bislang in der deutschen Jerusalems-Ikonographie bei Bibelillustrationen der Reformation ohne Beispiel sind. Es ist eine Darstellung der historischen Stadtmauern von Jerusalem in Palästina, die auf Wunsch von Ottheinrich in das Bild genommen werden sollten. Er selbst hatte diese Mauern im Juli 1521 auf einer Pilgerfahrt ins osmanische Reich gesehen. Ein nicht unwesentlicher Unterschied zu den historischen Mauern sind freilich die Edelstein-Applikationen, die sich als filigrane Schmuckbänder um die Tore finden lassen. Vorbild war hier vermutlich eine entsprechende Darstellungsweise des Meisters der Blumenornamentik von ca. 1480.
Der Band besitzt eine zweite Illustration zum Neuen Jerusalem. Fol. 287r präsentiert die himmlische Herrlichkeit um den Thron Gottes. Auf den ersten Blick ist kaum zu erkennen, dass sich diese Szene hinter einer gewaltigen Himmelspforte abspielt, deren Flügel links und rechts nach innen zurückgeklappt sind. In der Kunst der Ostkirche ist dieses Motiv auf Ikonen weit verbreitet, in der Westkirchen sind die aufgesprengten Türflügel eher selten.
Wilhelm Lübke: Mathias Gerungs Apokalypse, in: Wilhelm Lübke (Hrsg.): Kunstwerke und Künstler, 3, Breslau 1886, S. 317-333.
Hans Rott: Ott Heinrich und die Kunst, Heidelberg 1905.
Karl Schottenloher: Pfalzgraf Ottheinrich und das Buch, Münster 1927.
Die Ottheinrich-Bibel. Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Handschrift Cmg 8010/1.2 der Bayerischen Staatsbibliothek München, Luzern 2002.
Brigitte Gullath (Bearb.): Ottheinrichs deutsche Bibel. Der Beginn einer großen Büchersammlung, Luzern 2002.
Klaus Waldmann: La regina delle Bibbie. L’Ottheinrich-Bibel resta in Germania, in: Alumina. Páginas miniadas, 20, 2008, S. 66-70.
Brigitte Gullath: Heimkehr nach 375 Jahren. Die Odyssee der Ottheinrich-Bibel, in: Aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern, 2, 2008, S. 8-11.