Tympanon von Notre Dame, Paris (um 1180)

Aus dem 12. Jahrhundert stammt das Gerichts-Tympanon von Notre Dame zu Paris (viertes Arrondissement) am mittigen Portal der Westfassade. Es zählt zu den bedeutendsten Portalgestaltungen des Mittelalters und ist überaus bekannt, obwohl es in den Jahrhunderten später kaum einmal kopiert wurde. Bei Notre Dame zu Paris findet man einen ganz anderen Aufbau als bei den bisherigen mittelalterlichen Arbeiten (wenn man es mit Notre-Dame-du-Pré in Donzy oder mit Saint Foy in Conques vergleicht), und eine viel feingliedrigere Darstellungsweise, die komplett aus einem Stein gehauen wurde.
Als Fußschemel dient dem thronenden Weltenrichter das Kreissegment einer Erdkugel. In dieses Segment sind verschiedene Bauten der neuen Stadt Jerusalem in einem Fries horizontal aneinander gereiht, was etwas an das Apsismosaik aus S. Pudenziana in Rom erinnert. Von den neun Baukörpern sind drei Torbauten, von denen sogar die Fallgitter in den Stein gehauen sind, hier erstmals auf einer Jerusalem-Darstellung zu finden. Die Bauten in der Stadt sind rhythmisch aneinander gereiht, in der Mitte ist ein Sakralbau hervorgehoben, dessen Dachgiebel bereits den umlaufenden Bogen berührt. Die Tore scheinen auf dem Lebensfluss zu schweben. Überzogen ist die Gottesstadt von einem Bogen, der an den Regenbogen erinnert. Die erlösten Seelen darunter blicken zu dem thronenden Christus auf. Nicht das alte Paradies des Adam und der Eva ist ihr Ziel, sondern dieses neue Jerusalem, das vom Himmel herabsteigt und ihre ewige Heimat sein wird.

Bruno Boerner: Par caritas par meritum. Studien zur Theologie des gotischen Weltgerichtsportals in Frankreich am Beispiel des mittleren Westeingangs von Notre-Dame in Paris, Freiburg 1998.
Claude Gauvard, Joël Laiter: Notre-Dame de Paris. Cathédrale médiévale – a medieval cathedral, Paris 2010.
Claus Bernet: Klassiker des Himmlischen Jerusalem, Norderstedt 2012 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 1).

 

tags: Tympanon, Paris, Frankreich, Romanik, Gerichtsszene, Kathedrale
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