Jean Duvet (1485 bis nach 1562) stammt aus Dijon, verbrachte aber den größten Teil seines Lebens in Langres, wo er als Hofgoldschmied für französische Könige arbeitete. Die Einflüsse der Renaissance, etwa die Kupferstiche von Marcantonio Raimondi (um 1480 bis um 1534) sind in seinem Werk unverkennbar – ob Duvet selbst in Italien war, wissen wir nicht.
Duvet schuf mit seinem Apokalypsezyklus ein einzigartiges Meisterwerk der Renaissance des 16. Jahrhunderts. Er hat ab 1544 immer wieder an dieser Serie gearbeitet und sie 1555 vollendet. Einzelne Blätter der Serie wurden durch Jean de Tournes verkauft, bis das Ganze mit königlichem Privileg 1561 als „L’Apocalypse figurée“ erschienen ist.
Insgesamt vier Kupferstiche aus dieser Serie, die für das Neue Jerusalem relevant sind, zeichnen sich aus durch eine ornamentale Architektur, durch opulente Hintergrundgestaltung und durch eine freie Handhabung der Perspektive. Schon das erste Blatt (unpaginiert) ist ungewöhnlich, denn der Künstler bringt das Neue Jerusalem, das eigentlich am Ende des Zyklus erscheint, bereits zu Beginn.
Jean Duvet hat sich hier als Johannes verewigt, hinter dem der Engel auf die Himmelserscheinung aufmerksam machen will. Vergeblich, denn Johannes/Duvet ist in ein Buch vertieft. In der Bildmitte ist ein Schiff mit Kurs auf die Gottesstadt zu sehen – ein Motiv, das aus der Pilgerliteratur bekannt war. Das Himmlische Jerusalem erscheint als eine überbordende, prachtvolle Renaissance-Idealstadt. Auf dem gehauenen Steinblock unten links steht in Latein ein Verweis auf den Inhalt der Serie und die Behauptung, die Kupferstiche würden sich eng an die Textvorlage halten. Eine Schutzbehauptung vor kirchlicher Kritik, Ironie oder beides?
In einem weiteren Kupferstich (unpaginiert) zeigt ein Engel Johannes das Himmlische Jerusalem. Auch hier mangelt es nicht an abwechslungsreichen Details: Über den beiden erhebt sich ein hölzernes Dach, welches an Virtuvs’ Urhütte erinnert. Dieser „Menschenbau“ gibt einen Kontrast und Gegenpol zur Gottesstadt im Hintergrund ab. Die Stadt verdeckt den Himmel, immer neue Stockwerke und Gebäudeschichten türmen sich zwischen Menschenmassen übereinander. Die Stadtpräsentation darf als ein Beispiel der klassizistischen Renaissance, die sich an der römische Antike orientierte, gelten.
Während sich das vorherige Bild auf Apokalypse Kap. 21, Vers 9-27 bezieht, folgt eine weitere, nun dritte Darstellung der Stadt zu Apokalypse Kap. 22, Vers 1-5 (unpaginiert). Der Engel muss Johannes inzwischen stützen, denn dieser scheint der andauernden Visionen erschöpft zu sein und droht zusammenzubrechen. Über beiden ist der Paradiesfluss mit dem Baum des Lebens zu sehen, dahinter eine Menschenmasse aus allen drei Ständen, in konzentrischen Kreisen um Gottvater und Christus in der Mitte angeordnet.
Abschließend nach das Frontispiz der Ausgabe 1561: „Suite de l’Apocalypse; l’Ange à la clef, enchaîne le dragon pour mille ans“. In der Nachfolge Dürers erscheint hier das Satans auf tausend Jahre zusammen mit dem Himmlischen Jerusalem als zeittypischer Schlossbau auf einem Blatt.
Henry S. Francis: The Apocalypse of Jean Duvet, in: The Bulletin of the Cleveland Museum of Art, 41, 3, 1954, S. 56-58.
The Revelation of St. John. Apocalypse, engravings by Jean Duvet, New York 1976.
Colin T. Eisler: The master of the unicorn. The life and work of Jean Duvet, New York 1979.
Marco Fragonara: Jean Duvet. Sogno celeste e gloria terrena, in: Grafica d’Arte, 4, 14, 1993, S. 6-11.