
Fresken mit doppeltem Himmlischen Jerusalem in Sankt Andreas in Anger (1235)
Frühe Wandmalereien des Himmlischen Jerusalem findet man in der Steiermark als Fresko häufiger, man denkt natürlich an den Brucker Meister in St. Ruprecht in Bruck an der Mur (1416), an das Deckenfresko in Sankt Marein bei Neumarkt (um 1265) oder auch an die Wandmalerei der Pfarrkirche von Niederhofen bei Stainach (um 1495). Die älteste Wandmalerei hat sich jedoch an einem entlegeneren Ort woanders erhalten. Die römisch-katholische Pfarrkirche Anger steht in der Marktgemeinde Anger im Bezirk Weiz in der Mittelsteiermark. Die dortige Taufkapelle war viele Jahrhunderte der eigentliche Altarraum gewesen, dementsprechend befinden sich in dem Raum umfangreiche Wandmalereien, die mit der Taufe in keiner Beziehung stehen. Sie entstanden 1235 an der Wende von der Romanik zur Gotik und wurden 1520 überarbeitet bzw. ergänzt. In beiden Fällen kennt man die daran beteiligten Maler weder vom Namen noch von der Herkunft her.
Auf der Ostwand ist das Jüngste Gericht dargestellt, im oberen Bereich mit Christus, assistiert von Maria und Johannes. Die Wand darunter wird durch ein Fenster zweigeteilt, wobei man das Himmlische Jerusalem links findet. Ganz außen öffnet ein Übergroßer Papst/Petrus die Himmelspforte. Die Gruppe der Geretteten ist nur noch fragmentarisch erhalten, vermutlich waren es Vertreter der mittelalterlichen Stände. Sie stehen vor einer hohen Zinnenwand, die von zwei Bäumen überragt wird. Nach etwa zwei Metern knickt die Wand ab und wird zur Laibung der Fensternische. Die Bemalung mit den Zinnen setzt sich fort, vor ihnen stehen hier weitere Menschen auf den Gräbern auf.
Auf der Nordwand ist das Neue Jerusalem dann ein weiteres mal zu finden, aus der gleichen Zeit, ebenfalls ganz in typisch spätgotischer Konzeption: In der Mitte positioniert sich oben Gott als Vaterfigur und König, mit Krone und Reichsapfel, umgeben von musizierenden Engeln. Unter diesen zieht sich das Himmlische Jerusalem von links nach rechts, man sieht Mauern mit Zinnen, darüber Bänder, die einst lateinisch beschrieben waren, vermutlich mit Bibelversen, die jedoch unlesbar sind. Über den Zinnen haben sich Vertreter des geistlichen und weltlichen Standes versammelt, was man jedoch nur noch rechts deutlicher erkennen kann. Dort, also rechts unten, findet man auch den Gegenpol zur himmlischen Welt: den Tod, einen Ziegenbock, eine Schlange und den Teufel.
Warum in dieser Kapelle das Weltgericht zweifach dargestellt worden ist, bleibt offen. Möglicherweise war es so möglich, sehr vielen Besuchern diese Thematik vorzuführen. Möglicherweise sind aber auch Details auf den großen Freiflächen verloren gegangen, die diese Dopplung, die ich von keiner anderen mittelalterlichen Kirche kenne, erklärbar machen. Überhaupt ist der Erhaltungszustand schlecht. Die Fresken, überwiegend in Ochsenblut aufgemalt, befinden sich jedoch noch im Originalzustand und wurden lediglich 1969 von Ruß befreit und behutsam restauriert. Heute wird der kunsthistorisch einmalige Ort für Ausstellungen genutzt.
Anger, Gemeinde Anger, Pfarrkirche hl. Andreas, in: Die Kunstdenkmäler Österreichs. Dehio Steiermark (ohne Graz), Wien 1982.
Elga Lanc, Miriam Porta: Die mittelalterlichen Wandmalereien in der Steiermark, Wien 2002.
Pfarrgemeinderat Anger (Hrsg.): Pfarrkirche Anger, Kindberg, um 2015.