In der Mitte des 16. Jahrhunderts entstand in Lønborg neben der Taufe von Jesus und der Opferung des Isaak noch einmal eine umfassende mittelalterlich geprägte Gerichtsdarstellung, die vom namentlich nicht bekannten „Liljemester“, dem Lilje-Meister und seiner Werkstatt, herrühren. Die lutherische Dorfkirche Lønborg befindet sich südlich von Skjern in Vestjylland, Dänemark, und gehört zur Diözese von Ribe, wo im dortigen Dom ja ebenfalls das Himmlische Jerusalem, in Sandstein, dargestellt worden ist. Die Region ist aber ansonsten kaum ausgewiesen für Weltgerichtsdarstellungen.
Die Szenerie in Lønborg auf der ersten nördlichen Gewölbekappe der Dorfkirche ist allein schon deswegen außergewöhnlich, da hier zwei verschiedene Züge von Geretteten zu unterschiedlichen Toren der Stadt strömen. Das untere Tor weist bereits Merkmale der Renaissance auf. Neben ihm befindet sich ein Turm mit einem Baldachin, der an Darstellungen des Himmlischen Jerusalem auf manchen orthodoxen Ikonenmalereien erinnert. Durch eine massive Mauer ist Jerusalem anscheinend in eine Ober- und Unterstadt getrennt – auch dies ist bislang befriedigend nicht geklärt worden.
Die Datierung der Malereien in die Mitte des 16. Jahrhunderts, zwischen 1550 und spätestens 1570, wurde auch möglich durch die detailliert wiedergegebene zeitgenössische Bekleidung verschiedener Figuren der Freskomalerei. Zur Zeit der Ausschmückung der Kirche war in Dänemark bereits seit Jahren die Reformation eingeführt gewesen, und Lønborg ist eines der frühesten Beispiele reformatorischer Bildkultur überhaupt. Zufrieden war man mit dem Ergebnis kaum, vermutlich wegen einer Mariendarstellung (hier nicht zu sehen), und die Malereien verschwanden schnell unter einer weißen Tünche. Sie wurden erst 1939 neu entdeckt und 1992 umfassend restauriert. Dass die Gerichtsdarstellung aus einer deutschen Bilderbibel aus den 1520er Jahren abgemalt worden sein soll, hat sich als unrichtig erwiesen. Vielmehr hat man eine eigenständige Arbeit des Lilje-Meisters vor sich.