Das Ölgemälde „Saint Michel partageant les âmes“, zu Deutsch „Der Heilige Michael wiegt die Seelen“, wurde von dem italienischen Renaissancemeister Biagio d’Antonio (1446-1516) 1476 begonnen, aber erst im Jahr 1504 vollendet. Weshalb die Arbeiten an der Tafelmalerei mit der Seelenwaage sich derart hinzogen, wird vermutlich mit dem Auftraggeber zu tun gehabt haben, denn die Malerei an sich war wenig zeitaufwendig, und auch andere Werke dieser Zeit hat Biagio d’Antonio in wenigen Monaten vollenden können. Wie der Bildtitel vermuten lässt, ist hier der Heilige Michael in zeitgenössischer Ritterrüstung übergroß im Zentrum zu sehen. In der einen Hand ein Schwert, hat er in der anderen Hand die menschlichen Seelen in einer Waage vor sich – ein im späten Mittelalter populäres Bildmotiv. Wie üblich ist die Hölle rechts zu finden, das Himmlische Jerusalem links. Es ist als hohes Tor nüchtern wie selten einmal dargestellt, außer vielleicht bei Guido da Siena oder Fra Angelico. Außer einem grüngrauen Verputz ist eigentlich nichts zu sehen, was auf eine prächtige Stadt deuten würde. Vor der blockartigen Pforte, die aus Ziegelsteinen gemauert ist, verlieren sich die Geretteten, die von Engeln zu Petrus im rundbogigen Eingang geleitet werden. Sie sind nicht nackt, sondern tragen, wie die Engel, bereits die weißen Gewänder der reinen Seelen. Das 191 x 113 Zentimeter große Tafelbild wurde einst für die Kirche San Michele in Faenza (Provinz Ravenna) angeschafft. Unter Kaiser Napoleon III. kam es als Beutekunst nach Paris. Anschließend befand es sich als Leihgabe von 1863 bis 1975 erst in Melun (Île-de-France), dann ab 1976 in Avignon. (Rechtmäßiger?) Eigentümer ist das Louvre-Museum (Inventarnummer 20680).
Nancy Grubb: Revelations. Art of the Apocalypse, New York 1997.
Roberta Bartoli: Biagio d’Antonio, Milano 1999.