Ganz aus dem Rahmen, wortwörtlich, fällt diese Torszene aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: Über ein mittiges Bild mit Christus auf dem Regenbogen (hier nicht abgebildet) zieht sich dieser Fries am oberen Blattrand mit zahlreichen musizierenden Engeln, dazwischen Büsche und Blumen. Am Haupteingang links geleitet Petrus eine nackte, gerettete Seele in die Stadt.
Das hölzerne Tor wird gerade aufgeschlossen und steht in einem Gegensatz zur sonstigen Pracht des Eingangs, welcher mit reichverzierten Türmchen und Kegeldächern ausgestattet ist, von denen aus Engel mit Posaunen das Jüngste Gericht eröffnen. Rechts sind nochmals zwei weitere Tore der Himmelstadt zu sehen. Über den Zinnen dazwischen wurden die Engel gesetzt, deren spitz nach oben ragende Flügel unterschiedliche Farben haben; die auf der linken Seite richten sich nach rechts; die auf der rechten Seite nach links. Diese ungewöhnliche Konzeption von fol. 46v (Signatur MS Douce 93) der Bodleian-Bibliothek in Oxford stammt vom Meister Gijsbrecht van Brederode aus Utrecht für Yolande de Lalaing (1422-1497) aus deren Stundenbuch, welches in den Niederlanden hergestellt wurde.
Otto Pächt, Jonathan J. G. Alexander: Illuminated manuscripts in the Bodleian Library Oxford, 1, Oxford 1966.
Henri L. M. Defoer, Anne S. Korteweg, Wilhelmina C. M. Wüstenfeld: Die goldene Zeit der holländischen Buchmalerei. Katalog zur Ausstellung im Rijksmuseum Het Catharijneconvent, Utrecht (1989) und in der Pierpont Morgan Library, New York 1990.
Hinter der Signatur MS Germ. oct. 648 verbirgt sich ein Stundenbuch aus der Staatsbibliothek zu Berlin, die der Arbeit des van Brederode zugewiesen wird. Es soll kurz danach, um 1460, angefertigt worden sein. Über einer Weltgerichtsdarstellung auf fol. 648 schiebt sich oben links das Neue Jerusalem um die Ecke des Blattes – dieses ist also auch hier Teil des Bildschmucks oder des Rahmens zu dem mittleren Weltgericht. Liebevoll empfängt Petrus einen Ankömmling. Weitere Personen sind über den Zinnen zu finden, darunter auch Engel mit Posaunen. Bäume überragen die Stadtmauern, die an zeitgenössische Architektur von Flandern, Brabant oder Holland erinnern.
Hermann Degering: Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek, 3, Leipzig 1932.
Eric de Bruyn: De vergeten beeldtaal van Jheronimus Bosch, ’s-Hertogenbosch 2001.
Elizabeth den Hartog, Hanno Wijsman (Hrsg.): Yolande van Lalaing (1422-1497), (Haarlem) 2009.