Carlo Cionis Acrylgemälde „Gerusalemme celeste“ basiert auf unterschiedlichen Blautönen, was inhaltlich gut zu einer Himmelsstadt passt. Allerdings ist diese Arbeit auch ein typischer Cioni – viele Werke sehen so oder ähnlich aus, selbst wenn sie ganz unterschiedliche Titel haben, etwa „dalle cose fuori“ (1977), „solstizio d’estate“ (1980) oder „angelo“ (1998).
Über einer modernen irdischen Stadt im unteren Bereich schwebt hier die himmlische in einer Kreisform. Beide Städte erscheinen als Aneinanderreihung von rechtwinkligen Blöcken, was an eine amerikanische Skyline erinnert. Die irdische Stadt spiegelt sich nach unten, die Bauten sind also nicht so hoch, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Auch die himmlische Stadt ist geteilt, durch ein weißes Band, das sich wie eine Nebelwolke horizontal durch die Bauten zieht. Vor der Stadt ragt noch eine gigantische Ecke in Richtung Betrachter.
Die Malerei entstand im Jahr 1993, als Cioni von Florenz nach Chianti umzog, wo er meditativer und spiritueller zu leben hoffte und sich, so seine Aussage, in einem Werkzyklus künstlerisch auf das nächste Jahrtausend vorbereitete.
Die Beschäftigung mit den Themen der Johannesoffenbarung setzte sich fort. Ich habe mit dem Künstler aus Ambra (Toskana) zwischen 2000 und 2005 mehrfach korrespondiert, habe (ungefragt) Skizzen, lange handschriftliche Werkerläuterungen und Skizzen zugeschickt bekommen. Daraus ergab sich ein intensiver Austausch über weniger bekannte Darstellungen des Neuen Jerusalem in der Toskana; erst durch Cioni wurde ich auf moderne Interpretationen aufmerksam wie „La Gerusalemme celeste“ von Vittorio Angini (2006) oder „Gerusalemme Celeste“ von Giulia Huober (2007), die er ausdrücklich als seine Vorbilder und Inspitration erwähnte, dann aber auch klassische Darstellungen wie ein Messbuch von Gabriello di Vante (1483) und ein Weltgericht von Guido da Siena (um 1280). Dadurch konnte ich einen umfassende Eindruck davon gewinnen, wie Cioni auf der Reise oder Suche war, dem biblischen Thema durch die Kunstgeschichte seiner Heimat einen modernen, zeitgenössischen Ausdruck zu verleihen, ohne auf die klassischen Elemente wie Engel, Tore, Steine etc. zurückgreifen zu müssen.
Carlo Cioni: Il viaggio. Cronistoria per scritti e immagini, Milano 2003.
Carlo Cioni. Parole per l’arte, Vepri 2008.
Claus Bernet: Gemälde, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 21).