Anton Ginther (1655-1725): „Mater Amoris Et Doloris“ (1711)

Zu sehen ist eine Hand, die aus Wolken heraus mit einem Schlüssel ein Schloss einer Pforte öffnet. Die Hand gehört nicht zu Petrus, dem Himmelspförtner, sondern es ist die Hand Gottes, die seit dem frühen Mittelalter mit der Stadt Gottes in Verbindung gebracht wird. Die Pforte besteht aus zwei Flügeln mit insgesamt vier Kassetten, die als Rundbogen in einen rechteckigen Bau mit zwei Säulen und Dreiecksgiebel eingefügt ist. An der rechten Seite ist noch etwas Mauerwerk angedeutet, über der Pforte erscheint göttliches Licht in Form eines Strahlenkranzes oder einer stilisierten Sonne. Das Ganze, mit 9 x 5 Zentimeter Größe für das, was geboten wird, relativ klein, wurde in eine barocke Kartusche gefasst, überschrieben „Signatur ne perdatur“ („Was darauf hinweist, dass es nicht verloren geht“).

Wir haben es hier mit einem Emblem zu tun, welches sich auf die Versiegelung nach Exodus, Kapitel 12, Vers 13 bezieht („erit autem sanguis vobis in signum in aedibus in quibus eritis et videbo sanguinem ac transibo vos nec erit in vobis plaga disperdens quando percussero terram Aegypti“). Im Neuen Testament bietet den Versiegelten das Himmlische Jerusalem Schutz. Der Text ist ein Auszug aus einer lateinischen religiösen Abhandlung mit dem Titel „CONSIDERATIO III. Dolorosa Virgo“. Er behandelt die Jungfrau Maria, die nicht nur frei von der Erbsünde, sondern auch von jeder tatsächlichen Sünde sein soll – eines ihrer Symbole, auf das hier angespielt wird, ist die Porta Coeli, die Himmelspforte.
Das mariologische Emblem ist zu finden auf Seite 25 des Bandes „Mater Amoris Et Doloris“, „Mutter der Liebe und Schmerzen“ von Anton Ginther (1655-1725). Erstmals erschien er in Augsburg 1711. Schon wenige Jahre zuvor hatte der katholische Priester „Speculum Amoris & Doloris“ (1706) herausgebracht, an dessen Erfolg wollte er anknüpfen. Der oder die Kupferstecher von „Mater Amoris Et Doloris“ sind namentlich nicht bekannt, kein einziger der knapp einhundert Stiche ist signiert. Augsburg war damals jedoch ein Zentrum der Buchillustration, hier waren nicht allein die Gebrüder Klauber ansässig, sondern auch Johann Ulrich Kraus, Gabriel Bodenehr der Ältere oder Georg Andreas Wolfgang d. Ä., die alle weitere Mitarbeiter hatten – Anton Ginther stand eine große Auswahl zur Verfügung.

Mater amoris et doloris, quam Christus in cruce moriens omnibus ac singulis suis fidelibus in matrem legavit: ecce mater tua, Augsburg 1711.
Cornelia Kemp: Angewandte Emblematik in süddeutschen Barockkirchen, München 1981.
Ana María López de Atalaya Albaladejo: Los Emblemas cristológicos y Marianos del P. Antonio Ginther, in: Actas del I Simposio Internacional de Emblemática, Teruel, 1 y 2 de Octubre de 1991, Instituto de Estudios Turolenses, Excma. Disputación Provincial de Teruel, Teruel 1994, S. 739-750.
Imágenes para la exaltación de la Mater amoris et doloris. Las pinturasde la capilla de la Dolorosa en laiglesia de San Isidoro el Real (Oviedo) a través de los emblemas marianos de Antonio Ginther, in: Revista Anual de Historia del Arte, 2011, S. 65-79.

 

tags: Emblematik, Himmelspforte, Mariologie, Barock
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