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Corvinus-Graduale aus Frankreich (um 1480)

Ein Graduale ist ein liturgisches Gesangbuch. Diese waren im Mittelalter oftmals prachtvoll ausgestattet. Ein Meisterwerk ist das Corvinus-Graduale, entstanden um 1480. Ein oder mehrere unbekannte Miniaturisten aus Frankreich waren an diesem Werk beteiligt, welches zu der Bibliothek des Königs Matthias gehörte und heute Eigentum der Széchényi-Nationalbibliothek in Budapest ist (Cod. Lat. 424). Unter den 47 Miniaturen zeigen zwei das Himmlische Jerusalem.

Die Initiale zu dem Buchstaben „U“ befindet sich auf fol. 14r. Diese gehört zum Mittwoch der Osterwoche, wo sich das Thema Auferstehung für eine Weltgerichtsszene geradezu aufdrängte. Das Himmlische Jerusalem erscheint als verspielter Palastbau im ausgereiften Flamboyant-Stil. In den Bau strömen immer neue Gruppen von Bewohnern, die man dann mittels Durchblick in das Innere der Architektur dabei verfolgen kann, wie sie immer weiter nach oben schreiten. Die Szene ist von einem roten Rahmen eingefangen, der an den Seiten ausbuchtet und erneut Architektur aufnimmt. Im dem Graduale wird der Jerusalem-Turm von einem schmalen gotischen Turm konterkariert, in dem Grotesken ihr Unwesen treiben. Sicher zufällig erinnert dies etwas an das Ulmer Münster, wo ja ebenfalls zwei Architekturen nebeneinander gesetzt sind. 

Die Initiale zu dem Buchstaben „A“ befindet sich auf fol. 72r. Diese gehört zum Dienstag in der Pfingstwoche. In einem ummauerten Garten haben sich vornehme Ständevertreter versammelt. Über ihnen erscheint das Himmlische Jerusalem in einer Form, die French MS 2, fol. 4v entlehnt ist. Die Mauern springen asymmetrisch hin und her, der Umriss der Stadt lässt sich auf keine gängige geometrische Form bringen. An der linken Seite tritt ein Turm sogar über die Stadtmauer, der in seiner Gestalt etwas dem Turm von fol. 14r ähnelt (vgl. diesen Vorsprung mit MS Arsenal 5091, fol. 33v). Im Inneren thront Gottvater unter einem Baldachin, während Petrus an der Eingangspforte steht. Es scheint, als wolle er die vornehmen Herrschaften im unteren Bereich auf die Stadt aufmerksam machen.
Für die Ausarbeitung dieser Initialen, die ja nur wenige Zentimeter groß sind, hat man sich eine große Mühe gemacht. Zahlreiche Künstler fanden hier Monate lang Beschäftigung, nur ein potentes Adelshaus oder Bischöfe konnten sich solche Werke leisten. Ob der Prachtband tatsächlich bei Gottesdiensten zum praktischen Einsatz kam, ist umstritten.

Elisabeth Soltéz: Das Corvinus-Graduale. Einleitung und Bildbeschreibung, Hanau 1982.
Ernst Gamillscheg, Brigitte Mersich: Matthias Corvinus und die Bildung der Renaissance, Wien 1994.

 

tags: Gesangbuch, Frankreich, Weltgericht, Initiale, Flamboyant, Mittelalter
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