Hans Jakob Güder (1631-1691): Gemeindescheibe von Höchstetten (1669)

Höchstetten ist eine landwirtschaftlich geprägte Gemeinde im schweizerischen Emmental des Kantons Bern. Im dortigen reformierten Pfarrhaus wird ein Glaskunstwerk aus dem 17. Jahrhundert aufbewahrt. Es handelt sich nicht um ein Glasfenster, sondern um ein lediglich 34 x 23 Zentimeter großes Werk, welches als „Gemeindescheibe“ bezeichnet wird.
Geschaffen hat das Kunstwerk, eine Bemalung mit Schwarzlot, Silbergelb, Eisenrot sowie blauer, grüner und violetter Schmelzfarbe, ein Hans Jakob Güder (1631-1691). Dieser war Glasmaler in Bern. Dort galt er seinerzeit als führender Handwerker der Stadt und erhielt zahlreiche Aufträge für Kirchen des Kantons. Die Arbeit ist auf das Jahr 1669 datiert, so ist es auf dem Werk verzeichnet: „Die Gemeind GroβenHöchstetten hat Zů erkauffung / dises Pfrundhuses Zweÿ Tausend pfund gesteüret im 1669 Jar“. Damit ist es die heute die älteste Darstellung des Himmlischen Jerusalem, welches noch am Originalstandort vorzufinden ist, für die ganze Schweiz. Ganz oben ist ein Spruchband mit einem Zitat aus dem Galaterbrief (Kap. 4, Vers 26) eingearbeitet, der sogleich auf das Thema einstimmt: „Wir suchen das Himlische Hierusalem daß / droben, vnd vnser aller Mutter ist“.

Unmittelbar darunter folgt die bildliche Wiedergabe des Himmlischen Jerusalem als zeitgenössische Stadt auf einer Anhöhe, wie man es von Darstellungen der Civitas Dei auf Gemälden der Maria Immaculata her kennt – ein gerade im 16. und 17. Jahrhundert weit verbreitetes Genre (siehe Cristobal Gomez, Paolo Marchiano, Alonso López de Herrera, u.v.a.). Die Stadt ist hier umzogen von einer vor- und zurückspringenden Mauer samt einem Zugang. Hinter dem Zugang findet sich der prachtvolle Zentralbau dieser Stadt, eine gotische Kathedrale mit einem hohen Turm, der bis an das Spruchband reicht. Auf typische biblische Merkmale des Himmlischen Jerusalem wurde verzichtet, auch soll die Stadt eigentlich keinen Tempel/Kirche besitzen. Um aber solche Zweifel auszuräumen, wird der Gegenstand nochmals auf Latein tituliert: HIEROSOLYMA COELESTIS.
Wiederum darunter folgt die Darstellung zweier Frauen als Sinnbild der Eintracht und mehrere Wappen der damaligen gemeindeangehörigen Familien. Es waren selbstbewusste schweizerische Bürger, die nicht daran zweifelten, eines Tages auch Bürger des Himmlischen Jerusalem zu sein – diesen Anspruch dokumentiert die Gemeindescheibe. Der Anlass der Entstehung der Scheibe war jedoch eher profan: Die namentlich genannten Personen finanzierten den Erwerb des Pfarrhauses, dem sogenannten Pfrundhaus. In diesem wird noch heute die Scheibe aufbewahrt.

Egbert Friedrich von Mülinen: Beiträge zur Heimathkunde des Kantons Bern deutschen Theils, zweites Heft. Mittelland, 1: Aegerten-Jaberg, Bern 1880.
Rolf Hasler: Die Scheibenriss-Sammlung Wyss. Depositum der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Bernischen Historischen Museum, Bern 1996/1997.
Hans Rudolf Christen: Emmentaler Geschlechter- und Wappenbuch, Münsingen-Bern 1998.
Peter Michel, u.a.: Grosshöchstetten, Grosshöchstetten 1985.

 

tags: Kanton Bern, Wappen, Civitas Dei, Schweiz, Renaissance
Share:
error: