Karl Christian Andreae (1823-1904): Weltgerichtsfresko aus der Dorfkirche in Lohmen (1873)

Die von außen eher schlichte Backsteinkirche der Ortschaft Lohmen (Mecklenburg) überrascht innen mit zahlreichen Fresken-Malereien an den Wänden und Decken. Sie verteilen sich auf Bildinseln vor grauem Untergrund, der ansonsten durch üppiges Rankenwerk strukturiert ist, wie man es aus dem späten 15. Jahrhundert und frühen 16. Jahrhundert kennt (etwa Tandslet, Sudwalde, Marklohe und viele andere). Die Deckenmalerei über dem Altar präsentiert ein mittelalterliches Weltgericht: Christus erscheint auf einem doppelten Regenbogen, links steht Maria, rechts Johannes der Täufer, darunter mühen sich die Toten aus den Gräbern, einige schaffen es in das Neue Jerusalem, die meisten landen in einem Höllendrachen – eine typische spätgotische Konzeption, oftmals so zu finden, etwa ganz ähnlich in Bad Zwischenahn.

In Wirklichkeit entstand das Lohmener Weltgericht 1872/73, aus dem Mittelalter sind lediglich Teile des Mauerwerks und Fragmente übernommen. Dazu kam es eher zufällig: Zunächst waren lediglich Umbaumaßnahmen unter dem Bauleiter und Architekten Gotthilf Ludwig Möckel vorgesehen gewesen. Nach der Abnahme von Kalktünchen wurden in der ersten Sanierungsphase mittelalterliche Wandmalereien entdeckt. Diese dienten als Argument, ähnliche Malereien auszuführen. Was damals an Motiven gefunden wurde, ist eine Darstellungen des Sündenfalls, dann ein St. Christophorus und die Heilige Magdalena – das Weltgericht wird nicht genannt, es scheint also neu hinzugekommen sein.
Möckel hat dann den in Dresden tätigen Historienmaler Karl Christian Andreae (1823-1904), einen Vertreter der Düsseldorfer Schule, dafür vorgeschlagen – beide kannten sich bereits aus Dresden. Vor allem die Farbigkeit, die Ziegelimitationen an den Schildrippen oder gemalten Arabesken scheinen von dem mittelalterlichen Befund übernommen worden sein.
Bei dem Weltgericht kann das geübte Auge erkennen, dass es sich um eine Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts handelt. Die einzelnen Bildelemente weisen ein „Zuviel“ oder „Zusehr“ auf, so sind die Zähne des Monsters etwas zu furchteinflössend, die auferweckten Toten (im Stile Michelangelos) etwas zu athletisch, die Petrusfigur etwas zu besorglich: Sein Mantel fungiert als Schutzmantel, wie es im Mittelalter eigentlich von Madonnenbildern bekannt ist. Ein anderes wichtiges spätmittelalterliches Motiv sind die Ständevertreter. Auf Originalen stehen sie stets rechts von Petrus vor der Stadt, hier (absichtlich oder irrtümlich) links von Petrus in der Stadt. Zu identifizieren sind ein Bischof, ein König und ein Kardinal. Ebenfalls gekonnt von mittelalterlichen Vorbildern kopiert sind die Arkaden an der linken Seite der blockartigen Pforte, die gleichsam einen Kirchenbau wie auch das Neue Jerusalem repräsentiert. Solche Arkaden kannte Andreae sicherlich von französischen Kirchen und Kathedralen, die seiner Generation als Höhepunkt der christlichen Baukultur galten, etwa Meaux, Amiens oder Saint-Sulpice-de-Favières.

Es mag verwundern, dass sich diese Kirche ein derartig prächtiges Historismus-Jerusalem leisten konnte, in den umliegenden Gemeinden Mecklenburgs reichten schon im Mittelalter die Einnahmen kaum einmal für ein Weltgericht. Die nächste nennenswerte Malerei findet sich erst wieder in Bellin südlich von Güstrow. In Lohmen verdankt sich der Umbau dem Pfarrer Gustav Lierow, der hier von 1838 bis zu seinem Tod 1891 als Pfarrer tätig war. Lierow war nicht nur Pfarrer, sondern betätigte sich auch als Dichter und Literat. Er war überaus vernetzt und stand mit Persönlichkeiten seiner Zeit in Kontakt; für die Ausmalung der Kirche warb er erfolgreich bei den Vorstehern des Klosters Dobbertin (die die Schirmherrschaft für die Kirche hatten), der Denkmalpflege in Schwerin sowie bei lokalen Adeligen.

Karl Christian Andreae: Restauration in der Kirche zu Lohmen in Mecklenburg, in: Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus, 2, 1874, S. 18-23.
Friedrich Lisch: Die Kirche zu Lohmen, in: Mecklenburgische Jahrbücher, 40, 1875, S. 161-168.
Carl Christian Andreae, ein Maler der Düsseldorfer Akademie, Sinzig 2002.

 

tags: Weltgericht, Historismus, Arkaden, Mecklenburg
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