Adventisten: Illustrationen von „Seminars Unlimited“ (1986)

Im Jahr 1986 gab „Seminars Unlimited“ aus Keene (Texas) in den USA 24 kleinere Broschüren heraus, um auf das bevorstehende Weltenende hinzuweisen. Tatsächlich waren die Jahre vor der Jahrtausendewende von einer endzeitlichen Stimmung geprägt, vor allem in freikirchlichen Kreisen der USA im Bible Belt, dem auch Texas zugehört. So eindringlich die Warnungen damals waren, so wenig hörte man Freude oder zumindest ein Aufatmen, dass es nach dem Jahr 2000 doch noch mit der Erde weiterging.
Drei dieser eschatologischen Hefte, alle Teile der Revelation-Seminars-Serie, zeigen auf dem Cover das Himmlische Jerusalem, nämlich Heft 7, Heft 8 und Heft 20. Wie meist in Publikationen christlicher Fundamentalisten hielt man es nicht für notwendig, die Künstler der Zeichnungen anzuführen. Möglicherweise haben diese auch von ihrer Seite darauf verzichtet, da sie öffentlich nicht mit Missionsheftchen in Verbindung gebracht werden wollten oder aus Bescheidenheit auf eine Namensnennung verzichteten. Vermutlich handelt es sich um Adventisten, da „Seminars Unlimited“ zum adventistischen Netzwerk Nordamerikas gehört. Letztlich sollte man den Willen auf Anonymität respektieren und nicht in Archiven oder mittels KI-Hilfsmitteln Namen herauszufinden, obwohl es einen gewissen Reiz hat, wenn beispielsweise später bekannte Künstler hier mit Jugendarbeiten vertreten sind (wovon ich nicht ausgehe).
Heft 7 (oben) ist sicherlich die anspruchsvollste der Illustrationen. Über einer dystopischen Landschaft erhebt sich ein anscheinend doppelter Regenbogen, der sich zusätzlich im Wasser spiegelt – vier Lichtbögen dieser Art hat es in der Jerusalemsikonographie auch noch nicht gegeben. In Zentrum erhebt sich über Kolonnaden oder über einer Mauerreihe das gleißende Licht der Gottesstadt, eine Pyramide entsteht. Die Illustration ist stärker belebt als man zunächst annimmt: Oben rechts fliegt über Palmen ein Engel hinweg. Am Ufer sitzen immer wieder Gruppen von Erlösten. Rechts unten steht ein dunkler Engel. Vermutlich ist dies Satan, denn tatsächlich gibt es bei Adventisten seit William Spicer eine solche Tradition der Darstellung.

Heft 9 ist von einem anderen Künstler bebildert worden. Gottvater reicht dem Betrachter die eine Hand, während er mit der anderen auf seine Neuschöpfung verweist. Das Neue Jerusalem ist eine Lichterscheinung aus zackigen, vertikalen Elementen, zwischen denen Licht bis an den Rand der Illustration dringt.

Das Cover zu Heft 20 ist wiederum ganz anders gearbeitet,nach dem Prinzip variatio delectat. „Seminars Unlimited“ überrascht mit einer innovativen, modernen Sichtweise auf die Stadt, von der nun wesentlich mehr als zuvor zu erkennen ist. Jetzt wird deutlich, dass die Stadt auf einem Edelsteinfundament fußt. Futuristische, surreale Bauten sind hier versammelt, unter einem gewaltigen Leuchtturm, der von einem Regenbogen wie ein Ventilator umzogen ist! Unerklärlich sind die weißen Linien, die das Bild teilweise verschleiern, ihm aber auch Leichtigkeit und etwas Musikalisches verleihen, man hört förmlich Sphärenklänge.
Alle drei Illustrationen, vor allem Heft 9, wurden nach 1996 erst im Internet richtig populär. Bis 2010 waren sie öfters auf religiösen Blogs zu finden, die heute, nach nur etwa zehn bis 15 Jahren, fast alle abgeschaltet sind. 

Claus Bernet: Freikirchen, ‚Sekten‘, Denominationen, Norderstedt 2013 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 9).

 

tags: Fantasystil, Futurismus, Leuchtturm, Gottvater
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