MS Cod. 1179: Ausgabe der Bible moralisée (um 1225)

Das Wiener Exemplar der „Bible moralisée“, Signatur Cod. 1179, hier fol. 244r (a), (c), (e) und (g) sowie fol. 246r (a) aus der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien ist vollständig in Latein abgefasst. Über Auftraggeber, Konzeptoren, Künstler und frühere Besitzer gibt es nur wage Vermutungen. Die Konzeptoren waren vermutlich Theologen der Pariser Universität, die um 1225 im adeligen Auftrag tätig wurden. Die große Zahl der Miniaturen setzt mehrere Mitarbeiter voraus, aufgrund von Ähnlichkeiten hat ein Teil davon vermutlich auch an MS M 240 und/oder MS Harley 1527 mitgewirkt. Bei ihren Miniaturen wird jeweils eine biblische Geschichte wiedergegeben, gleichzeitig auch ihre allegorische Interpretation. Von diesen typologisch „moralisierenden“ Bilder haben solche Bibelausgabe auch ihren französischen Namen: „Bible moralisée“. In ihnen wurde das Himmlische Jerusalem häufig dargestellt, im Falle der Wiener Ausgabe allein fünf Mal.
Die ersten vier kleineren Illustrationen (jede ist lediglich ein 4 x 4 Zentimeter großes Detail einer Buchseite) zeigen das Himmlische Jerusalem in einer einheitlichen Gestalt, man findet sie alle auf fol. 244r.

Die einheitliche Gestaltung beruhen auf folgenden Merkmalen:
-die Architektur der Stadt ist ein annäherndes viereckiges Gebilde mit allen zwölf Toren, sechs davon vorne, sechs hinten. Die Tore stehen offen, goldener Hintergrund scheint hervor. Alle vier Miniaturen zeigen dieses Gebilde mit einem Fundament, eingezeichneten Mauersteinen und Zinnen als Abschluss;
-alle vier Miniaturen zeigen im Hintergrund die Bauten, die sich eigentlich in der Stadt befinden sollten, wo jedoch der Platz fehlte. Sie sind symmetrisch angeordnet: Türme an den Seiten (auf denen jeweils kleiner Türme aufgesetzt sind), und ein Zentralbau mit zwei Flügeln in der Mitte;
-In der Stadtmitte thront stets Christus, drei Mal in menschlicher Gestalt, allein auf der letzten Miniatur als Lamm Gottes. Er befindet sich stets in einer Mandorla, allein auf der ersten Miniatur wurde die Mandorla durch die Pfeiler eines Baladchins ersetzt;
-jedes Miniatur hat oben das Firmament, unten die Erde angedeutet;
-die Kommunikation geht stets nach links. In diese Richtung schaut Christus bzw. das Lamm. Von links nähern sich Heilige, Gerettete und zuletzt der Engel mit Johannes der Stadt. In einem Fall verbindet sogar ein Spruchband die innere Stadt mit dem Außenbereich und deutet Kommunikation an.

Die folgende Miniatur auf fol. 246r zeigt die Anbetung des apokalyptischen Lammes. Es steht auf einem Thron, darunter sieht man den Lebensfluss. Rechts unten sind drei grünfarbene Tore einer Mauerseite zu sehen (in Reminiszenz an die vier vorangegangen Miniaturen), links fügt sich etwas Mauerwerk an. Die übrigen Mauerpartien sind durch zahlreiche Personen verdeckt, die man in drei Gruppen einteilen kann. Gruppe eins oben rechts sind die Geretteten: mehrere Mönche und einige Adelige mit Kronen – an andere Bevölkerungsgruppen ist hier nicht gedacht – eigentlich spiegeln sich hier Auftraggeber (Adelige) und Auftragsausführer (Mönche in ihren Skriptorien) wider. Gruppe zwei darunter scheint Kleidung in einer Schale zu reinigen. Hier ist nicht etwa Waschtag, sondern diese Personen legen ihre sündige Kleidung ab und waschen sie im Blut des Lammes (eine Vorstellung, die so aus der Johannesoffenbarung entliehen ist). Hier sind sogar alle Dargestellten Mönche. Gruppe drei an der rechten Seite sind die Ausgeschlossenen oder Verurteilten. Hier zeigt sich der Antisemitismus, der sich auch auf anderen Miniaturen dieser Ausgabe belegen lässt: Mit ihren Hüten sind sie als Juden zu erkennen; einer der Personen versteckt einen Dolch, ein anderer trägt ein Götzenbild mit sich, ihre schiefen Augen sollen ihre angebliche Falschheit belegen. Diese Problematik wird in der unten angegebenen älteren Literatur mit keinem Wort erwähnt; ich persönlich erinnere mich noch an ein kunsthistorisches Seminar unter Reiner Haussherr, der lauthals jeglichen Antisemitismus der „Bible moralisée“ bestritt.

Hugo Buchthal, Francis Wormald: Miniature painting in the latin kingdom of Jerusalem, Oxford 1957.
Reiner Haussherr: Eine Warnung vor dem Studiern von zivilem und kanonischem Recht in der Bible moralisee, in: Früchmittelalterliche Studien, 9, 1975, S. 390-404.
Yves Christe: L’Apocalypse dans les Bibles moralisées de la première moitié du XIIIe siècle, in: Bulletin Archéologique du CTHS, Moyen Age, Temps Modernes, 25, 1997, S. 7-46.
John Lowden: The making of the Bibles Moralisées, University Park 2000.
John Lowden: The Apocalypse in the Early-Thirteenth-Century Bibles Moralisée, in: Nigel Morgan (Hrsg.): Prophecy, Apocalypse and the Day of Doom, Donington 2004, S. 195-217.

 

tags: Hochmittelalter, Frankreich, Antisemitismus
Share:
error: