
In der römisch-katholischen Pfarrkirche Sankt Marein bei Neumarkt (Steiermark) wurden 2017 an den Gewölbeflächen restauratorische Befundungen durchgeführt, die Hinweise auf eine umfangreiche mittelalterliche Wandmalerei ergaben. Bei der dann erfolgten Freilegung kam unter acht Farbschichten ein umfassendes Himmlisches Jerusalem zum Vorschein: Eine reich verzierte, symmetrisch rechteckig angelegte Stadtmauer mit vier kuppelgekrönten Torbauten, besetzt von je drei mit Schriftbändern bezeichneten Figuren der zwölf Apostel in Baldachinnischen. Hinzu kommen vier hohe Ecktürme, seitlich bewacht von (Erz-)Engeln, bekrönt von den Evangelistensymbolen, im Zentrum das Lamm Gottes.
Die gesamte Konzeption ist also mit der von Gurk thematisch, aber auch in der Ausführung bis in die einzelne Farbgebung identisch. Aller Wahrscheinlichkeit hat man also eine weitere Arbeit des Meisters von Gurk, seiner Werkstatt oder seiner Schüler auffinden können. Da die Malereien in St. Marein nicht den in Gurk, wo ein ganz ähnliches Jerusalem zu sehen ist, ausgeprägten, für den Übergang von der Romanik zur Gotik charakteristischen Stil mit gezackten Gewandfaltenenden zeigen, sondern bereits den frühgotischen Linienstil und damit eine etwas reifere Entwicklungsstufe soll diese Malerei gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstanden sein, etwa um 1280. Diese Datierung ist jedoch umstritten, es gibt auch Stimmen, die Sankt Marein als mindestens so alt wie Gurk oder sogar älter halten. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, die Forschung und Debatte ist erst am Anfang. Noch strömt die Masse nach Gurk; dort finden mitunter im Stundentakt Führungen zu den Fresken statt – kaum jemand pilgert nach Sankt Marein, obwohl hier der Erhaltungszustand besser ist, die Details der geringeren Deckenhöhe wegen besser erkannt werden können und wir hier möglicherweise sogar das Original, in Gurk die Kopie haben.
Besonders in den vier Ecken hat sich die Malerei und die originale Kolorierung besonders gut erhalten:
Vor allem die Edelsteinmauer und die Ansätze der vier Ecktürme sind detailreich ausgestaltet – Reichtum, Pracht und Sicherheit dieser Stadtanlage zu demonstrieren war das Hauptanliegen des Meisters. Vorbild waren hier wohl römische Mosaike wie in Santa Maggiore oder Santa Prassede, wo man eine ganz ähnliche Edelsteinmusterung finden kann.
Waldemar Posch, Josef Wilfing: Die Fresken der Bischofskapelle in der Westempore. Dom zu Gurk, Passau 2000.