Janice Zmilely: Jenaer Kodex (um 1495)

Im Spätmittelalter war Böhmen eine maßgebliches Zentrum der Miniaturmalerei Mitteleuropas, das bezeugen nicht allein die Radapokalypse aus der Velislai Biblia picta oder eine Weltgerichtsdarstellung von 1441, sondern auch eine Miniatur aus dem Jenaer Kodex (tschechisch Jenský kodexauch, früher auch als Jenaer Hussitenkodex bezeichnet). Er befand sich früher in der Universitätsbibliothek von Jena (ehemalige Signatur Ms. El. f. 50b). 1951 machte sie Wilhelm Pieck, der damalige Präsident der DDR, dem tschechischen Staat zum Geschenk, und so gelangte die Zimelie in die Bibliothek des tschechischen Nationalmuseums (neue Signatur IV B 24).
Der Jenaer Kodex war im utraquistischen Umfeld von Janice Zmilely zwischen 1495 und 1500 in seiner Werkstatt in Písek angefertigt worden, im Auftrag des Prager Bürgers Bohuslav von Čechtice. Die Stadt Písek war damals eine der reichsten von Südböhmen und hatte zahlreiche Privilegien, unter anderem eines für die Herstellung von Buchmalereien.

In dem Band ist die Gottesstadt zweifach dargestellt. Eine goldfarbige Stadtmauer trennt auf der Doppelseite fol. 5v und fol. 6 den oberen himmlischen von dem unteren irdischen Bereich – eine Idee, die hier von französischen Miniaturen zu „De Civitate Dei“ übernommen worden war (vgl. Jacquemart Pilavaine oder Maitre François). Oben links treten Utraquisten vor den Thron Gottes, auf ihrer Fahne haben sie den Kelch gesetzt, dessen Nutzung bei der Messe ihnen wichtig war. Einer der Personen ist blind. Es handelt sich um den König des Hussiten, Jan Žižka. Auf dem rechten Blatt sind Vertreter und Vertreterinnen des böhmischen Adels vor einer Marienfigur versammelt. Die Stadtmauer, die beide Seiten verbindet, schwebt auf einem stilisierten, blauen Wolkenband. Nur auf fol. 5v ist sie durchbrochen. Dort ist eine Himmelspforte eingefügt, in der Christus mit Nimbus, Reichsapfel und Passionswundmal segnend erscheint.

Der Kodex enthält auf fol. 11 eine weitere Darstellung des Himmlischen Jerusalems, in Form einer von Engeln erbauten Stadt, in deren Mitte Gott thront und deren Mauern von einer Gemeinde aus zwölf Aposteln umgeben sind. In der mittigen Pforte, die diese Mauer durchbricht, erscheint erneut Christus, flankiert von Petrus (links) und Paulus (rechts). Neben einem Fresko aus St. Urbanus in Dorum (um 1510) ist es eine der ganz selten Darstellungen, die das Neue Jerusalem in der Erbauung zeigt, was gegen den Offenbarungstext steht, der klar von einer fertigen Himmelsstadt spricht. Hier hingegen entdeckt man links des Thrones Bauarbeiter beim Steineschleppen, rechts solche beim Bedienen eines Flaschenzugs, um am grauen Turm hinter dem Thron weiter zu arbeiten. Auf diesem sieht man sogar Handwerker mit Hammer und Maurerkelle. Stets sind es jeweils ein Mensch und ein Engel, die hier einträchtig zusammenarbeiten. Die Aussicht, selbst im Himmlischen Jerusalem Frondienst leisten zu müssen, wirkte auf die zeitgenössischen Betrachter, in ihrer Mehrzahl Tagelöhner, Bauern und Handwerker, wenig tröstlich. Die Intention dieser eigenartigen Szene war, etwas von der Zuversicht der Utraquisten zu vermitteln, mit göttlicher Hilfe eine heilige Gesellschaft aufzubauen.

Zoroslava Drobná: Der Jenaer Kodex. Eine hussitische Bildsatire vom Ende des Mittelalters, Prag 1970.
Pavel Brodský: Katalog iluminovaných rukopisů Knihovny Národního muzea v Praze, Praha 2000.
Jeffrey F. Hamburger, Maria Theisen: Unter Druck. Mitteleuropäische Buchmalerei im 15. Jahrhundert. Tagungsband zum internationalen Kolloquium in Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften, 13.1.-17.1.2016, Petersberg 2018.

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tags: Hussiten, Spätmittelalter, Tschechisches Nationalmuseum Prag
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