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Radapokalypsen (13. und 14. Jh.)

Um 1260 entstand im nördlichen Frankreich eine besondere Ausgabe des Liber Floridus des Lambert de Saint-Omer (1061-1125), die heute im Besitz der Französischen Nationalbibliothek in Paris ist (MS Lat. 8865). Besonders ist sie hinsichtlich der Darstellungsform des Neuen Jerusalem, denn die Stadt wird als Rad mit zwölf Speichen gezeigt, in denen die Büsten der Apostel gesetzt sind. Alle sind namentlich gekennzeichnet. Die eigentliche architektonisch gestaltete Stadt findet man an der Kreisaußenseite, wo sich ein Fries aus sechs kleineren Türmen, zwölf Engeln und sechs großen Türmen findet, deren Schaft sich weiter in das Kreisinnere zieht. Im Zentrum befindet sich lediglich eine kreisrunde Beschriftung mit den Namen der zwölf Edelsteine. Viele Szenen sind mit Beischriften in kleinen Kästchen versehen, die sich zum Teil auch außerhalb des Bildrandes befinden. Diese Abbildung diente weniger der lustvollen Betrachtung, sondern der Belehrung. Von dieser Stadtrepräsentation abgegrenzt sind weitere Szenen aus der Apokalypse im oberen und unteren Teil von fol. 42v. Oben werden Heilige und Christus am Gerichtstag gezeigt, mit Geretteten und Verworfenen. Unten sind der Lebensbaum und der Lebensfluss zu sehen, wie er aus dem Thron entspringt und nach zwei Seiten abfließt. Erstaunlicherweise ist auch hier der vornehmste Platz, nämlich der Thron, leer, wie auch die zweite Darstellung Jerusalems auf fol. 50 einen ziemlich unbelebten Eindruck macht:

Fol. 50 zeigt ein geschlossenes Stadttor, an welches zwei geschlossene Fenster oder zwei weitere Tore angefügt sind. Damit würden wir eine Mauerseite mit drei Toren vor uns haben. Das Besondere ist nun ein ovaler Mauerkranz darüber, welcher wie eine Lupe einen Einblick in das Stadtinnere gewährt. Dort sieht man vor allem eine Dachlandschaft mit Türmen, was dann ganz oben in etwas anderer Darstellungsform wiederholt wird. Auch dieser Illustration sind Beschriftungen beigefügt, so sind oben beispielsweise die Namen der zwölf Apostel angeführt.

Jacqueline Sclafer: 8865. Lambertus de Sancto Audomaro, Liber Floridus, in: Bibliothèque nationale de France (Hrsg.): Catalogue général des manuscrits latins nos. 8823 à 8921, Paris 1997, S. 57-68.
Maria Luisa Gatti Perer (Hrsg.): La Gerusalemme celeste, Milano 1983, S. 159-160. 

Radapokalypsen gab es bei Wandmalereien oder bei Radleuchtern vor allem in der Romanik häufiger, aber als Buchillustrationen sind sie selten. Eine weitere Variante kommt aus Prag (Národni Knihovna, Prag, MS XXIII C 124) und entstand im 14. Jahrhundert, zwischen 1325 und 1349. Es handelt sich um eine Bilderbibel mit insgesamt 747 Zeichnungen und wenig Text aus beiden Testamenten und anderen Schriften. Sie wurde in Tinte ausgeführt und ist zurückhaltend teilkoloriert.
Inzwischen haben sich entscheidende Veränderungen ergeben: Zunächst ist auf fol. 168v das Zentrum nicht mehr unbesetzt, sondern hier findet sich nun das Agnus Dei, einschließlich Kreuzesnimbus und Siegesfahne. Um das Tondo ziehen sich zwei konzentrische Kreise, in die die Namen der Apostel geschrieben sind. Dann folgen abwechselnd Kreissegmente mit einem Turm und mit einer Personendarstellung. In zwölf Feldern sind Flussallegorien und Stundenallegorien dargestellt. Die Kreisaußenseite wird durch die Turmdächer überragt, zwischen die jeweils ein beschrifteter Edelstein gesetzt ist. Um die Stadt sind mehrere Engel dargestellt. Einige spielen zum Vergnügen Posaune, andere sind zum bewaffneten Kampf bereit. Ihr Blick ist grimmig, ihre Flügel spreizen sich aggressiv nach oben.

Eine weitere Darstellung der Gottesstadt findet sich kurz zuvor auf fol. 163r (Zählung auf Blatt in Bleistift erst 162, dann durchgestrichen 168) als kleines Detail von nur wenigen Zentimetern in Gestalt dreier Bauten, die von Dämonen bewacht werden – höchst ungewöhnlich für einen heiligen Ort, aber nicht unmöglich, wenn man an die Wasserspeier gotischer Kathedralen erinnert. Die Stadt wird hier durch drei Kirchenbauten repräsentiert, die alle lateinische Kreuze auf den Kuppeln haben, unter denen man sogar die Dachschindeln erkennen kann. Die beiden Seitentürme sind etwas schmaler als der mittlere Turm, dafür ist dessen Kreuz niedriger gesetzt. Auch dieses Detail kommt, obwohl hier ein prominenter Gegenstand der Bibel aufgegriffen wurde, ohne stärkere Farben aus.

Velislai Biblia picta, Pragae 1970 (Edito Cimelia Bohemica, 12).
Josefa a Putifarky, Pavel J. Kácer: Velislai biblia picta, Príbram 2000.
Lenka Panušková: Die Velislav-Bibel in neuem Licht, in: Umění, 56, 2, 2008, S. 106-118.
Alena Richterová: Velislavova bible, in: Grand Biblio, 3, 11, 2009, S. 13.

 

tags: Radapokalypse, Liber Floridus, BdF, Fensterrose, Prag, Tschechien, Gotik Mittelalter, Apostel, Engel, Teufel, Grisaille
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