Jean de Meun: MS 579 (1325-1350)

Die städtische Bibliothek von Besançon besitzt einen Kodex (Signatur MS 579) von Jean de Meun, einem französischen Autor und Übersetzer des 13. Jahrhunderts. Jean de Meun werden eine Vielzahl dichterische, philosophische und religiöse Werke zugeschrieben, darunter am bekanntesten eine Fortsetzung des vor allem im Frankreich populären Rosenromans. Bei der hier interessierenden Schrift zu den beiden Testamenten ist seine Urheberschaft unbestritten, sie wird in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert.
Fol. 2v präsentiert zu Beginn des Bandes, quasi als Eröffnungsseite, den „Thron der Gnade“, also Christus auf dem Richterstuhl. In der unteren Hälfte (hier nicht abgebildet) wird die Hölle und darüber die Erweckung der Toten gezeigt. Auf der obere Hälfte sitzt Christus so auf seinem Thron, dass alle seine Wundmale zu sehen sind. Die Passion scheint hier eine hervorgehobene Bedeutung zu haben, verstärkt durch die Marterwerkzeuge wie Kreuz, Nägel, Dornenkrone oder Lanze, die Engel an den Seiten als „Beweismaterial“ präsentieren. Links wie rechts sind die von der Gnade Begünstigten versammelt. Das Himmlische Jerusalem ist ausschließlich an der rechten Seite zu finden, als gotisches Bauwerk ganz in weißen Farbtönen mit einzelnen vergoldeten Akzentuierungen. Unten besteht es aus einer Himmelspforte, deren geöffnete Tür nach links ausschwenkt. Aus der Tür drängen mehrere Personen, was nicht dem gängigen Kanon entspricht, da eigentlich umgekehrt die Personen von außen ein Interesse haben, durch die Pforte nach innen zu gelangen. Vor der Pforte steht ein Mann mit weißlichem-blauem Gewand, der anbetend-erschrocken beide Hände anhebt – diesmal ist es nicht, wie sonst, Petrus der Pförtner, sondern eine Figur, die aus kompositorischen Gründen eingesetzt wurde, da die versammelten Gruppen auf beiden Seiten annähernd symmetrisch aufgebaut sind. Weiter oben finden sich Fensterrosetten und Fenster, aus denen Personen herausschauen – es sind nicht Adelige, sondern ihre Kronen deuten an, dass es sich um Märtyrer und Märtyrerinnen handelt. Teilweise wurden die Gesichter nicht fertig gestellt, wie überhaupt diese Miniaturen schnell und in Teilen unvollendet gearbeitet sind. Vorbild für Aufbau und Ausgestaltung waren weniger andere Handschriften, sondern vorangegangene Tympanon-Darstellungen, an vorderster Stelle Léon, dann Meaux oder Saint-Sulpice

Auguste Castan: Besançon (CGM 32), in: Manuscrits 1-1296 (index t. 33, p. 977-fin), Paris 1897, S. 338-339 (Catalogue général des manuscrits des bibliothèques publiques de France).
Henri-Pierre Rinckel: Etude iconologique des enluminures du ‚Mystère du Jugement dernier‘. Manuscrit 579 de la Bibliothèque municipale de Besançon, Tours 1983.
Jérôme Baschet: Les justices de l’au-delà. Les représentations de l’enfer en France et en Italie (XIIe-XVe siècles), Rome 1993.

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tags: Weltgericht, Passion, Marterwerkzeuge
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