
Die gotische Kathedrale der spanischen Stadt Léon besitzt ein Tympanon aus Sandstein, welches für die Skulptur der „weißen Madonna“ am Trumeaupfeiler berühmt ist. Gleichzeitig zeigt dieses Tympanon auch eine Gerichtsdarstellung. Das Relief ist um 1270 entstanden, die Figuren sind überaus tiefenräumlich, beinahe freiplastisch. Sie sind, auch Dank eines Baldachins, gut erhalten und gelten als Weiterentwicklung der französischen Gotik. Diese kannte man hier gut, denn die Kirche war eine wichtige Station auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela und wurde von zahlreichen Pilgern aus Frankreich aufgesucht, darunter sicher auch von solchen, die von den französischen Kathedralen schwärmten. Konkret konnte man Einflüsse der Kathedrale von Chartres nachweisen. Umgekehrt, und das wird selten erwähnt, gelangten von den rückkehrende Pilgern auch Einflüsse aus Spanien in das östliche Europa und müssten einmal näher untersucht werden.
Die linke Seite, wiederum ganz links, weist eine kleine, weit geöffnete Himmelspforte auf, hinter der Petrus steht. Gerade bückt sich vor ihm ein Papst, um als erster in die schützende Stadt hineinzugelangen. An zweiter Stelle sieht man einen König mit Krone und Bart, weitere mittelalterliche Ständevertreter folgen ihm. Leider sind hier Figuren beschädigt, so dass eine Bestimmung nicht immer möglich ist. Erhalten hat sich zum Glück ein Orgelspieler – ein auf einem Tympanon einzigartiges Detail mittelalterlicher Musikfreude.
Rosa Maria Sánchez: Die Kathedrale von Leon, Barcelona 1999.
Máximo Gómez Rascón: Catedral de León, Leon 2000.
Natascha Kubisch: Der Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Unterwegs zu Kunst und Kultur des Mittelalters, Darmstadt 2002.
Claus Bernet: Denkmalschutz, Denkmalpflege und UNESCO-Weltkulturerbe, Norderstedt 2020 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 47).