Heinz Lilienthal (1927-2006) ist, was das Himmlische Jerusalem angeht, bekannt als Glasmaler, der dieses Motiv vor allem in Norddeutschland seit den 1960er Jahren mehrfach zur Darstellung gebracht hat. Diese Glasfenster sind inzwischen alle dokumentiert. Neben Fenstern hat der Künstler aber noch eine überraschende Bandbreite an weiteren künstlerischen Aktivitäten aufzuweisen, so schuf er Mosaike, Skulpturen oder designete Möbelstücke. Auch beschäftigte er sich mit der Gestaltung von Wänden hinter dem Altarbereich bei den neu erbauten Kirchen der Nachkriegszeit. In Fällen, wo sich dort kein Glasfenster befand, stellte sich stets die Frage: In welcher Weise gestaltet man, falls erwünscht, die noch kahle Wand?
Ein prominentes Beispiel ist der Wandschmuck für die evangelische Pauluskirche in Melle, die größte Stadt im Landkreis Osnabrück und eine selbstständige Gemeinde in Niedersachsen. Durch die Dachschrägen des Gebäudes ergibt sich hier die Form eines Hauses – möglicherweise gab dies den Ausschlag, in diesem Bereich die himmlische Stadt als übergeordnete Einheit der einzelnen Häuser zu thematisieren.
Die feierliche Einweihung der Kirche erfolgte im November 1972. Der damalige Pastor war Jürgen Meier (1925-1985). Dieser war nicht allein Pastor, sondern auch Künstler und Architekt, der am Bau der neuen Kirche maßgeblich beteiligt war. Liturgisches Gerät (Altar, Taufbecken, Kanzel, Kreuz) und sogar der Glockenturm stammen von ihm. Kurz vor der Einweihung waren die Fenster eingebaut worden und stießen auf sehr positive Resonanz. Der Glaskünstler war niemand anderes als Heinz Lilienthal. Zu dieser Zeit muss die Idee entstanden sein, dass Lilienthal noch ein Wandbild schaffen sollte. Es wurde im ersten Quartal 1973 eingebaut und kostete damals 10.000 DM allein an Honorar an den Künstler, zuzüglich Transport und Einbau. Ich vermute, dass diese hohe Summe nur erbracht werden konnte, weil sie beim Kirchenbau übriggeblieben war. Das würde auch erklären, warum die Altarwand einige Monate später als der übrige Kirchenschmuck eingebaut wurde. Für den Künstler war es eine Gelegenheit, dass Wandbild auf die bereits vorhandenen Glasarbeiten abzustimmen. Vermutlich wollte er mit dem dunklen Farbton einen bewussten Kontrast zu den Buntglasfenstern schaffen.
In den 1970er Jahren waren Orange und Braun populäre Farbtöne, nicht allein in der Profankunst, sondern auch in der Sakralkunst. Hier ist der braune Farbton in der natürlichen Färbung des Steins vorgegeben, es handelt sich also nicht um eine nachträgliche Bemalung. Das Kunstwerk besteht aus vier Schieferplatten, die eng aneinander gesetzt sind, allerdings nur so eng, dass noch eine Fuge zwischen den Platten erkennbar bleibt. Auf den Platten hat Lilienthal verschiedentlich Motive eingeritzt und teilweise golden gefärbt. Es sind an erster Stelle zwölf Tore, die als Rundbögen lose über die vier Platten verteilt sind, in unterschiedlicher Größe, teilweise ganz, teilweise nur zu einem Bruchteil golden gefärbt. An den Ecken und Rändern sind rechteckige Bauten angedeutet, auch sie teilweise golden gefärbt, die an der linken Seite mit Zinnen verziert. Tritt man näher an das Kunstwerk heran, erkennt man weitere Schraffuren, die weniger gut zu erkennen sind, da sie nicht golden markiert wurden. Im rechten Bereich ist dies ein gewaltiger Halbkreis vorzufinden – vielleicht die Kuppel einer Dachlandschaft?
Das Kunstwerk, lange Zeit unbeachtet, wird inzwischen als so außergewöhnlich betrachtet, dass ein eigener Aufsatz dazu erschienen ist. Auch repräsentiert es als erstes Bild zum Wikipedia-Eintrag zu Heinz Lilienthal dessen Kunst. Gleichwohl soll angemerkt sein, dass ein solcher Wandschmuck ohne jede liturgische Funktion relativ selten ist, vergleichbare Beispiele findet man noch im Gemeindesaal zu Mildenau, in St. Josef in Marktheidenfeld und im Andachtsraum des Altenheims in Essen-Rüttenscheid.
Werner Kloos: Heinz Lilienthal. Werdegang und Werk. Gestaltung in Glas, Stein und Metall, Bremen 1985.
Sebastian Olschewski: Das Altarbild der evangelisch-lutherischen Paulusgemeinde Melle, in: Der Grönegau, 1983, 42, 2024, S. 63-78.
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