Hans Gottfried von Stockhausen (1920-2010): Chorfenster im Ulmer Münster (1956)
Das Ulmer Münster ist auch eine Art Freilichtmuseum der Glasmalerei, denn hier finden sich Fenster von zahlreichen Glaskünstlern aus Süddeutschland, die vor allem nach 1945 gearbeitet haben, wie Rudolf Yelin, Wilhelm Geyer, Wolf-Dieter Kohler, Valentin Peter Feuerstein und auch Hans Gottfried von Stockhausen (1920-2010). Welche Kirche kann so etwas bieten? Ihre Fenster haben hier jeweils einen Namen; dasjenige von Stockhausen wird „Die sechs Werke der Barmherzigkeit“ genannt. Man findet es vorne an der Südseite, unmittelbar im beginnenden Chorbereich. Der Künstler hat es 1955 entworfen und 1956 hergestellt. Sein Schaffen muss damals ganz vom Himmlischen Jerusalem erfüllt gewesen sein, denn von Stockhausen arbeitete damals parallel für ein Fenster der Kirche St. Katharinen in Hamburg sowie für die Evangelische Kirche in Alt-Hastedt (Bremen). Auch dort zeigt er im Chorbereich das Neue Jerusalem.
Lesen wir wie es üblich ist das Glasfenster von oben nach unten: Über Szenen von Saat und Ernte zwischen einem Weinstock hat der Künstler eine Reihe von Mauerzügen des Himmlischen Jerusalem eingefügt. Dabei ist eines der Tore jeweils mit einem Engel besetzt. Sie stehen nicht auf den Toren, sondern in der dahinter befindlichen Stadt. Die Tore links und rechts verbindet eine Mauer, welche in ihrer Mitte nochmals dreieinhalb Tore zeigt. Hier sind es einfache Rundbogentore ohne Engel.
Im mittleren Teil sind in die vier Ecken wieder Engel über Tore gesetzt, die Szenen der Barmherzigkeit rahmen. Deutlicher als zuvor ist hier zu erkennen, dass diese Engel beten. Die Tore sind hier übrigens nicht durch Mauerzüge verbunden, sondern die mittlere Fensterbahn läuft hier vertikal durch.
Der obere Abschluss zeigt an der linken wie rechten Fensterbahn nochmals zwei Tore. Beide sind mit Engeln besetzt, die anhand der Gesten als Lehrer oder Mahner gezeigt werden, was auch eine ihrer wesentlichen Aufgaben ist. Sie nehmen hier Bezug auf die Mosesfigur mit den Gesetzestafeln. Im Maßwerk des Fensters findet man ganz oben in den Zwickeln zwei Tore, besetzt mit zwei musizierenden Engeln. Die Tore sind etwas anders als die acht zuvor gezeigten dargestellt: symmetrisch, mit breiteren, roten Eingängen und in quadratischer Blockstruktur. Zählt man sie zusammen, wird man feststellen, dass hier nur zehn von zwölf Toren zu finden sind. Nimmt man die eingangs erwähnten kleineren Tore hinzu, kommt man auf eine Zahl, die Zwölf übersteigt.
Hermann Baumhauer, Joachim Feist: Das Ulmer Münster und seine Kunstwerke, Stuttgart 1977.
Elmar Schmitt, Adolf Silberberger: Das Ulmer Münster in Vergangenheit und Gegenwart. Konrad, Weissenhorn 1989.
Siegfried Ernst: Sprechende Steine, lebendiges Glas, Vermächtnis aus Holz: die Botschaft des Ulmer Münsters an unsere Zeit, Lindau/Bodensee 1993.
Erhard John: Die Glasmalereien im Ulmer Münster, Langenau 1999.
Janine Butenuth: „Glück und Glas, wie leicht bricht das“. Glasmalerein im Ulmer Münster, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 38, 2, 2009, S. 119.
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