Gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstand in Köln ein Altar, der einem unbekannten Maler zugeschrieben wurde. Er erhielt den Notnamen „Meister von 1477“, was jedoch wenig weiterhilft, da wir keine weiteren gesicherten Arbeiten dieses „Meisters von 1477“ kennen. Vermutlich war er für die zahlreichen Kirchen und Klöster der Stadt tätig, die damals zu den größten und wohlhabendsten Metropolen Europas zählte. Der Altar zeigt auf der Vorderseite eine Kreuzigungsszene und auf der Rückseite eine Weltgerichtsdarstellung. Die beidseitige Bemalung ist ein Hinweis darauf, dass dieser Altar in einer Kirche in Gebrauch war. Die 151 x 116 Zentimeter große Fichtenholzplatte befindet sich heute im Kölner Wallraf-Richartz-Museum (Inventarnummer WRM 0751). Da dieses Museum schon andere, noch bedeutendere Weltgerichtsaltäre in seiner Dauerausstellung zeigt (so das Weltgericht des Meisters von Sankt Severin und natürlich der Altar von Stefan Lochner), teilt dieses Werk das Depotschicksal, zumal auch noch Beschädigungen und Holzwurmbefall hinzukommen. Das alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es mit dem Werk eines hervorragenden Meisters zu tun haben. Vor allem die Figuren, etwa die Gesichter der Geretteten oder die Flügel der Engelsfigur, belegen diese Einschätzung. Auch widerstand der „Meister von 1477“ der Versuchung, mit einer spektakulären und erzählerischen Höllendarstellung die Aufmerksamkeit auf sein Werk zu lenken.
Gleiches gilt auch für das Himmlische Jerusalem auf der gegenüberliegenden Seite mit einer einfachen Himmelspforte am linken Bildrand. Diese Pforte ist ungewöhnlich gehalten: Die Rahmung könnte bereits ein Ornament im Flamboyantstil darstellen, oder handelt es sich, in Anlehnung an die Paradiespforte, um organisches Material, etwa um Blattranken oder Blätter eines Baumes? Klar davon abgegrenzt ist der goldgelbe Hintergrund der offenen Tür, was auf das göttliche Licht hindeutet. Im Gegensatz zu anderen Malereien dieses Themas am Ende des 15. Jahrhunderts werden die Geretteten vor der Pforte nicht länger als Vertreter ihres Standes gezeigt, sogar auf differenzierende Kopfbedeckungen oder ständespezifische Frisuren (etwa eine Tonsur) wurde verzichtet. Die männlichen wie weiblichen Personen drängen sich eng aneinander, denn die Pforte ist eng und niedrig.
Irmgard Hiller, Horst Vey, Tilman Falk: Katalog der deutschen und niederländischen Gemälde bis 1550 (mit Ausnahme der Kölner Malerei) im Wallraf-Richartz-Museum und im Kunstgewerbemuseum der Stadt Köln, Köln 1969.
Christian Heße, Martina Schlagenhaufer: Wallraf-Richartz-Museum Köln. Vollständiges Verzeichnis der Gemäldesammlung, Köln 1986.
Hiltrud Westermann-Angerhausen, Alexander Schnütgen: Colligite fragmenta ne pereant. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 150. Geburtstag seines Gründers, Köln 1993.
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