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Theodor Brockhinke (1839-1890) und Anton Becker (1862-1945): Marienaltar mit Civitas Dei aus St. Laurentius in Erwitte (1889)

Die Wiedenbrücker Malerschule ist der Sammelbegriff für mehrere Kunsthandwerksbetriebe im Raum von Rheda-Wiedenbrück, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Sakralkunst im Stil des Historismus spezialisiert hatten. In Wiedenbrück profitierten vor allem das Goldschmiedehandwerk von dieser Entwicklung und zog in Folge weitere Künstler an. Führend wurde der Betrieb von Franz Anton Goldkuhle, der eigene Kataloge herausgab, für bedeutende Dombauten Kunstgegenstände entwarf und solche sogar nach Übersee vertrieb.

Ein Werk der Wiedenbrücker Malerschule ist die Innenausstattung der römisch-katholischen Kirche St. Laurentius in Erwitte. Dort zeigt der linke Seitenaltar eine Holzschnitzerei der Maria Immaculata, die selbst Fachleute für eine Arbeit des 16. Jahrhunderts halten. In Wirklichkeit wurde sie erst von 1887 bis 1889 hergestellt. Sie ist ein Gemeinschaftswerk der Werkstatt von Theodor Brockhinke (1839-1890) und seinem Schüler Anton Becker (1862-1945). Beide waren zu dieser Zeit gefragte Altarbaumeister. Höchstens der Entwurf wird von ihnen stammen, die Ausführungen besorgten bis zu zwanzig Mitarbeiter, die sich auf Heiligenfiguren, Malereien, Rückwände, Aufbauten, Physiognomien spezialisiert hatten und bereits protoindustriell und arbeitsteilig sehr effektiv und kostensparend die Aufträge angingen. Für die abschließende Bemalung und Vergoldung war dann Georg Goldkuhle (1849-1900) aus der erwähnten Familie verantwortlich, zusammen mit dem Bildhauer Anton Mormann (1851-1940), der zu diesem Zeitpunkt für den Betrieb Goldkuhle arbeitete.
Brockhinke und Becker fertigten für die Erwitter Kirche auch den Hochalter und den Beichtstuhl an, die zusammen eine gelungene, harmonische Komposition ergeben. Für ihre Arbeit in Erwitte mussten sie Darstellungen der Maria Immaculata aus Frankreich gekannt haben. Das gilt vor allem für die innere Bildtafel des Marienaltars, während die zwei seitlichen Rundtürme typische Ergänzungen des Historismus sind. Übernommen wurde vor allem die Position der Symbole: unten etwa der Hortus Conclusus und die Civitas Dei, als runde mittelalterliche Stadt mit einem mächtigen Zentralturm. Oben links der Turris David, gegenüber das Domus Aurea. Ebenso hat es Tradition, dass Engelsfiguren die Symbole präsentieren, hier in deutlicher Anlehnung an Tilman Riemenschneider.

Benedikt Große Hovest, Marita Heinrich: Die Wiedenbrücker Schule. Kunst und Kunsthandwerk des Historismus, Paderborn 1991.
Martin Pollklas: Die „Wiedenbrücker Schule“. Eine Stadt entdeckt ihre künstlerische Tradition, Rheda-Wiedenbrück 2008.
Brigitte Spieker, Rolf-Jürgen Spieker: In unvergleichlicher Pracht auf Goldgrund gemalt. Die Wiedenbrücker Maler Georg und Eduard Goldkuhle, Bramsche 2019.

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tags: NRW, Historismus, Civitas Dei, Gold
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