Russische Apokalypsehandschrift (um 1810)

Den handgeschriebenen Text der Johannesoffenbarung samt einer Interpretation vereint dieser Band mit 72 Miniaturen aus der Zeit um 1810. Er gehört zum jüngeren Teil der Sammlung handgeschriebener Bücher von E. E. Egorova in der Russischen Staatsbibliothek zu Moskau, dort Signatur F.98 Nr. 372. Fol. 55v bringt ein in der Ostkirche in Handschriften und auf Ölmalereien von Ikonen häufiges Motiv (vgl. etwa bereits eine Handschrift von 1550 aus der Staatlichen Nationalbibliothek Moskau, Sammlung Egorova, Signatur 466, Nr. 6.):

Der Himmel bricht auf und sprengt gewissermaßen die zwei Türflügel an die Seiten, um Platz zu machen für Christus auf dem Thron. Es ist der Beginn des Weltgerichts. Die filigranen Zeichnungen in matten Farben deuten darauf, dass solche Werke einen hohen zeitlichen Aufwand erforderten und künstlerischen Anspruch hatten, nur Könner, die ihren Preis hatten, waren dazu in der Lage. Solche gab es im frühen 19. Jahrhundert nur in Städten wie Rostow, Moskau, Kostroma oder in Jekaterinburg. Beispielweise kann man auf fol. 55v sogar das Beschlagwerk der Himmelstür erkennen oder man beachte die unterschiedlichen Gesichtszüge der Ältesten, von denen einige sogar lachen, andere sich grimmig hinter ihrem Bart verstecken.

Eine erstaunliche Wiederholung des Bildaufbaus findet man auf fol. 64v. Gesten und Physiognomien, etwa die von Johannes oder dem Engel im Vordergrund, sind sehr ähnlich, auch die sieben Leuchter kennen wir bereits. Allein die Türflügel stehen nun senkrecht, der blaue Fleck rechts (das Meer anzeigend!) ist verschwunden, und auch die Zahl der Ältesten hat sich etwas verringert, was alles Ruhe in die Illustration bringt.

Maria (nicht Christus) im Zentrum eines schrägen und zackigen Jerusalems, wie sie dabei ist, das Abendmahl zu feiern, ist ebenfalls ein jahrhundertealtes Bildmotiv der Ostkirche (vgl. das Apokalypsemanuskript der Altgläubigen aus Russland, um 1800). Hier auf fol. 253v halten die Engel behutsam ihre Hände auf die Kanten der Stadtmauern, die von Türmen bzw. Toren unterbrochen sind. Es sind fünf solcher Bauwerke; die Zahl zwölf spielt ebenso wenig eine Rolle wie die quadratische Form der Stadt.

Erstaunlicherweise erfährt in dem Band auch diese Illustrationen nach wenigen Seiten eine Variante. Diese befindet sich auf fol. 260. Die Zeichnung bedeckt fast das gesamte Blatt, überall befinden sich Türme, Tore, Mauerzüge. Auch hier ist es Maria, die im Zentrum der Stadt Abendmahl feiert. Die Handhaltung, die bordeauxrote Farbe des Gewands, selbst die Zahl und Positionierung der Patenen ist gleich geblieben. Die Engel befinden sich nun nicht länger vor der Mauer, sondern in Türmen; hinzugekommen sind auch die zwei Figuren unten rechts. Die linke ist ein Engel, die rechte ist schwerer zuzuweisen. Selbst Kenner der ostkirchlichen Buchmalerei bzw. Ikonenkunst sind sich uneins: Der Gegenstand in ihrer Hand ist nicht der Maßstab, denn diesen würde der Engel mit sich führen (er ist hier überhaupt nicht dargestellt). Möglicherweise ist es Petrus mit dem Schwert als eines seiner Symbole. Ebenso könnte es sich um einen Bischof handeln, falls der Gegenstand einen Krummstab darstellt. Schließlich kann es sich dann doch wieder um Johannes auf Patmos handeln, der hier als alter Mann mit Gehilfe gezeigt wäre. 

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tags: Russische Staatsbibliothek Moskau, Abendmahl, Torflügel, Handschrift
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