Diese farbenfrohen Darstellungen des Himmlischen Jerusalem sind im Umkreis der Altgläubigen-Gemeinschaft in Russland entstanden. Sie sind in Farbe, Ausführung und Motivwahl an mittelalterliche Manuskripte angelehnt, entstanden aber erst um 1800. Da den Altgläubigen in Russland der Buchdruck untersagt war, mussten sie, wie im Mittelalter, ihre Schriften mühsam per Hand abfassen und illustrieren. Helle, rotgelbe Farben dominieren, teilweise sind erläuternde Beschriftungen zu finden.
Die Abbildung von fol. 201v zeigt Jerusalem als Braut in ihrer Mitte. Zusammen mit Heiligen feiert sie das Abendmahl. Getragen wird die Stadt übrigens von einem roten Engel (was in dieser Art der Darstellung durchaus Tradition hat, vgl. die Kluge Apokalypse fol. 162v, die Apokalypsehandschrift 663 fol. 138 oder die Moskauer Apokalypsen-Interpretation fol. 85). Über dem Engel sind fünf grüne Tore zu sehen, die von drei Staffelgiebeln in blauer Farbe bekrönt sind. Darüber zieht sich ein weiteres rotes Mauerband mit einigen Fenstern.
Fol. 206v zeigt ebenfalls Jerusalem als Braut des Lamms. Es eine der wenigen Darstellungen der Ostkirche, wo das Lamm mit Hörnern gezeigt wird. Die Mauern der Stadt kennen wir als Quadrat, als Kreis oder wie hier als vor- und zurückspringende Zacken. Fast das gesamte Blatt ist mit Architekturen überzogen, an Ornament wird nicht gespart. Unten bringt das Edelstein zusätzlich Farbe ins Bild, dort sehen auch zwei Figuren: der Engel mit Johannes auf Patmos.
Die letzte Illustration zu Jerusalem hat den Titel „Die Sammlung der Propheten in der Stadt“ und gehört zu fol. 223v. Die Propheten des Alten Testament sind selbstverständlich Bewohner des Neuen Jerusalem, doch selten ist ihnen einmal eine Abbildung gewidmet. Hier sind sie vor breiten Tischen versammelt, auf denen das Abendmahl zelebriert wird. Noch ist die Versammlung noch nicht komplett und der Tisch nicht gedeckt, weitere Propheten strömen von rechts in die Stadt. Diese ist diesmal annähernd rund dargestellt, spitze bunte Türme wechseln sich mit schmalen geschmückten Mauern ab.
Alle drei Illustrationen stammen vom gleichen Künstler. Sie finden sich in einem Band mit der Johannesoffenbarung und patristischen Kommentaren, der heute im Walters Art Museum in Baltimore (USA) aufbewahrt wird, dort unter der Signatur MS W.917.